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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 20
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Schulz-Albrecht, August Julius: Der Bildhauer Joseph Thorak
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#1017

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Der Bildhauer Joseph Thorak
Mit sechs Abbildungen auf drei Tafeln Von OTTO BRATTSKOVEN
ES scheint, als wenn jene Plastiker unserer Gegenwart, die weniger das
harte Gefüge des Materials als Ausdruck innerer Spannungen, als viel-
mehr das vollrunde und nicht von vornherein metaphysische Gebilde des
menschlichen Körpers aufsteigen lassen, um in behutsamen, unerregten, klaren,
mehr daseinsruhigen als pathosgesättigten Abwandlungen das Spezifische
einer eigenschöpferischen Natur auszuprägen, in den Mittelpunkt des Inter-
esses zu rücken beginnen. Soziologisch betrachtet ist diese Erscheinung in
der geringen Mutationsfähigkeit abstrakter (oder im speziellen Fall kubisti-
scher) Ideengänge begründet, die, außerdem noch arm an Imponderabilien,
schließlich zu Ermüdung und Leerlauf geführt hat. Die Situation gegen-
wärtiger Plastik kann heute überhaupt, ohne daß man sich dem Vorwurf der
Einseitigkeit aussetzt, dahin präzisiert werden, daß man eine Scheidung
zwischen vitaler und formhaft-konstruktiver Plastik in Anwendung bringt.
Bildhauerische Produkte, die in ihrem Aufbau zwischen diesen beiden Polen
fluktuieren, können so auf ihren faktischen Charakter hin untersucht werden,
ein Werturteil aber auf Kosten der einen oder anderen Anschauung fällt in
absoluter Hinsicht fort, bleibt jedenfalls distanziert und der persönlichen
Entscheidung überlassen. Auch die sogenannten revolutionären Bemühungen
im Bereich der plastischen Welt, also jene Bestrebungen, die bisher maß-
gebliche und vom menschlichen Körper ausgehende Dreidimensionalität zu-
gunsten einer in der ästhetischen Formulierung sehr vag umschriebenen
Vierdimensionalität zu durchbrechen, können in ihrer unmittelbaren Wirkung
für die Gegenwart nicht zweifelhaft sein. Einige besondere Werke dieser Art
bewähren ihre immanente Kraft, andere fallen unter den Begriff der ornamen-
talen Architekturplastik, ohne indessen auch hier nicht immer die material- und
formgerechte Unterordnung erkannt zu haben.
Die Reihe der obengenannten, in der Formsprache verwandten, charakte-
rologisch gattungshaften und sich von andersgearteten Schöpfern, wie u. a.
Barlach oder Scharff, in der Haltung scheidenden Bildhauer ist bekannt.
Prototyp dieses plastisch-körperlichen Kompositionswillens ist Georg Kolbe,
eigenwilliger und schärfer konturiert sind Fiori und Haller, besinnlicher und
weicher Fritz Huf und Kurt Edzard. Unter den weniger bekannten Bildhauern
ist es jetzt Joseph Thorak, dessen vorliegendes und verhältnismäßig um-
fangreiches Werk sich in einigen Gestaltungen ohne die Geste des allzu
Verblüffenden durchzusetzen beginnt. Als vorher Unbekannter kann er trotz-
dem nicht angesprochen werden. In einigen Ausstellungen der Berliner Aka-
demie, der Freien und Berliner Sezession war er mit Porträtbüsten und figür-
lichen Kompositionen vertreten. Doch konnte es nicht ausbleiben, daß er
gegenüber den rigorosen Darstellern heftiger oder bewußt primitiver plastischer
Form zurücktreten mußte, wie er auch heute noch an der Überwindung des
geschickten Handgelenks, der Ausschaltung nur glatt akademischen, vor-
wiegend auf den kanonischen Körperbau sich beschränkenden Könnens zu
arbeiten hat.
Es berührt bei diesem Bildhauer eigenartig, wenn man die Feststellung
macht, daß er erst auf Umwegen zum ausgesprochen vollplastischen Aus-
druckswillen gekommen ist. Also keine unmittelbar mit den Lehrgängen der
Akademie beginnende Begabung, die sich später erst allmählich dem Schema
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