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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 1
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Martinie, Henri: Puvis de Chavannes
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0032

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Puvis de Chavannes

Von H. MARTINIE / Mit fünf
Abbildungen auf vier Tafeln

WIE ein Strom, der zwischen seinen Ufern in immer breiteren Fluten dem
fernen Horizont entgegenfließt und immer mehr Himmel umfassen
möchte, so verlief das Leben und die Entwicklung von Puvis de Chavannes.
Wie so viele andere mußte er die Verständnislosigkeit und Feindseligkeit von
Kritik und Fachgenossen über sich ergehen lassen. Seiner selbst und seines
Sieges sicher, erklärte er der Gesellschaft nicht den Krieg und verurteilte
niemanden. Dieser große Kämpfer war niemals ein Revolutionär. Als ein
Genie der Ordnung wollte er im Geiste der Ordnung siegen. Seinem Erfolg
haftet kein Flecken an; keine Lehre ist so groß, so würdig als die, welche er
fünfzig Jahre lang dauernd erteilte.
Als die Kritik sich weniger hart gegen ihn zeigte, vereinfachte er, auf die Ge-
fahr hin, sich ihr für immer zu entfremden, Zeichnung und Modellierung noch
mehr und drang unbeirrt zu einer immer reineren Harmonie vor. Dies bedeu-
dete keine Herausforderung, sondern ergab sich aus den Gesetzen seiner
Kunst. Nachdem nun die Kritik ihre Feder voller Galle niedergelegt hatte und
das Publikum die meisterhafte Wandmalerei des Pantheon begeistert feierte,
nachdem endlich alle erobert waren durch den unwiderstehlichen Zauber sei-
ner zarten Farbentöne, wählt er für seine Wandbilder des Pariser Rathauses
und der Bibliothek in Boston leuchtende Farben, die aber immer der von ihm
aufgestellten Regel gehorchten: Unterordnung unter den Charakter des aus-
zuschmückenden Bauwerkes.
Es ist eine Kunst voll Gesundheit und Helle, wo Verstand und Empfindung
sich harmonisch ergänzen, und man hat mit Recht gesagt, daß Plato die
Schöpfungen von Puvis de Chavannes geliebt haben würde. Vergleiche dieser
Art sind etwas kindlich, aber der Ruhm von Puvis erträgt ungetrübt die Ge-
fahr einer solchen Nebeneinanderstellung.
Sein Talent entwickelte sich ohne zu frühe Reife. Mit zwanzig Jahren offen-
barte sich ihm auf einer langen Reise in Italien (wo er besonders Tizian, Tinto-
retto und Veronese bewunderte, während man aus ihm einen Nachahmer der
Primitiven, besonders Giottos machen wollte) die Größe der Malerei. Damals
beschloß er, gleichfalls Maler zu werden. Sein Entschluß war der eines Men-
schen, der die Schwierigkeiten seines Unternehmens ermißt und entschlossen
ist, sie zu überwinden.
Von seinen Lehrern, die ihm nichts gaben, ist wenig zu sagen. Er sah
schnell ein, daß sie ihn nichts lehren konnten, nicht einmal Delacroix, bei dem
er nur vierzehn Tage blieb. Bei Henry Scheffer und Couture war er gleich-
falls nur sehr kurze Zeit und erwarb nicht einmal die nötigsten technischen
Kenntnisse. Jahrelang arbeitete er allein, nachher mit Kameraden wie Bida
und Ricard. Die wertvollsten Ratschläge kamen ihm von Pollet, einem talent-
vollen Graphiker und ehemaligen Romschüler, der ihn in den schwierigsten
Zeiten leidenschaftlich verteidigte.
Die „Rückkehr von der Jagd“, ausgestellt im Jahre 1859, bezeichnet den An-
fang seiner Ruhmesbahn. Die dekorative Begabung zeigt sich bei diesem
ersten Anlauf großartig und ungezwungen, trotz gewisser Reminiszenzen und
einer unvermeidlichen Unerfahrenheit. Eine jugendliche Freudigkeit entfaltet
sich dort, die von den bewegten, edlen Körpern ausgeht. Die Vorliebe für
Schlichtheit und Vornehmheit frei von aller Schulkonvention, diese zwei Kon-
stanten der Kunst von Puvis, sind schon hier bemerkbar.

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