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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 1
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Ehl, Heinrich: Hamburgische Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0057

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Hamburgische Architektur
Mit io Abbildungen auf 5 Tafeln Von HEINRICH EHL
JEDE praktisch und künstlerisch wertvolle Stadtbaukunst ging vom Platz aus
oder um mit Goethe dem Begriffe geistigeren Inhalt zu geben vom „Lokal“.
Unter den Hansestädten hat Hamburgs Neubau nach dem großen Brande von
1842 in Chateauneufs Plänen und Absichten noch manches Gute dem unzer-
störbaren Genius loci zu danken gehabt, das erst unverständige Ausführung
oder Gedankenlosigkeit der Nachgeborenen vernichten konnte. Lichtwarks
Klagen über die sinnlose und leider so erfolgreiche Zerstörungswut gegen die
Stadtschönheit sind bekannt und typisch berechtigt bei der Mehrzahl neu-
deutscher Stadtanlagen. In Hamburg erfolgte der Umschwung zu sinnvoller
Stadtbaukunst und guter Einzelarchitektur durch Schumachers Staatsbauten
und Högers Geschäftsbauten in jenem monumentalen Zug der Mönckeberg-
straße, die als via triumphalis des deutschen Kaufmanns ein Gegenstück des
historisch gewordenen deutschen Fürstentums wurde, das die Münchener Lud-
wigstraße repräsentiert. Mit der geschickten Einbeziehung des seitlich gelege-
nen Petrikirchturmes erhielt ihre Achse nicht nur den notwendigen festen
Richtpunkt, sondern es wurde der eingeschlagene Weg neuen Bauens damit
auch planvoll und energisch auf den ausdrucksvollen Formenreichtum des
bodenständig und landschaftlich bedingten Backsteins gewiesen. Diese glück-
liche Rückkehr zum autochthonen Material enthüllte mit einem Schlage die
natürliche Gesetzlichkeit und höchst moderne Schönheit der lokalen Überliefe-
rung, die ihre reiche Lebenskraft für diesen Platz und seine besonderen Form-
bedingungen jahrhundertelang erprobt hatte.
Begreifen wir diese lokalen Imponderabilien vom eigentümlichen Leben
dieser Stadt, von ihrem spezifischen Geiste und der sinnlich-sittlichen Ein-
stellung ihrer Bewohner aus, so ergibt sich als leicht zu fassender Charakter
dieses einmaligen „Lokals“: Solidität der Empfindung und Eindeutigkeit der
menschlichen Aufgabe des Daseins. Sie ist zweckvoll bis zur Nüchternheit.
Aber in ihrer äußersten und nie verhehlten Folgerichtigkeit haftet ihr ein
Hauch von unbewußter Großartigkeit an, die ebenso ästhetisch schön wirken
kann, wie sie als Lebensprinzip ethisch einwandfrei ist. Wo sich eine wie
immer beschaffene ethische Haltung einer Gesamtheit menschlicher Individuen
innerlich wahr und in ihrem eigensten Sinne zweckvoll äußert, muß Schön-
heit beinahe das selbstverständliche Ergebnis einer in Form übersetzten Ge-
sinnung sein.
Hamburg ist Welthandelsemporium mit der ganzen Einseitigkeit, aber auch
der eindrucksvollen Geschlossenheit eines Gemeinwesens, das einem aus-
schließlichen und fast fanatisch verfolgten Ziele zu arbeiten und zu erwerben
dient. Wie die letzten Möglichkeiten dieser bestimmten menschlichen Hal-
tung, die freilich nicht die höchste und bedeutsamste ist, einen literarisch
wertvollen und fast philosophischen Niederschlag in dem Lebensbuche Fords
gefunden haben, so müßte ihr immanentes Teil, architektonisch ausgedrückt,
eine künstlerische Gestaltung finden können, aus dem die Seelenverfassung
des gegenwärtig herrschenden Menschentyps — stehe man zu ihm grundsätzlich
wie man wolle — eindeutig klar und formal überzeugend abzulesen wäre. Vor-
ausgesetzt, daß der Künstler lebt, der das entsprechende Zeitgefühl und die
Fähigkeit, es auszudrücken besitzt, ist das Kunstwerk nur mehr eines der gro-
ßen Dinge, die aus der unbegrenzten Phantasie in räumliche Wirklichkeit über-

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