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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 12
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Hegemann, Werner: Amerikanische Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0616

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Amerikanische Baukunst1
Mit fünf Abbildungen auf vier Tafeln Von WERNER HEGEMANN
WENN ich, der Einladung des „Cicerone“ folgend, hier einige Worte
über amerikanische Baukunst zu sagen versuche, tue ich es mit Zögern,
weil ich den Vorwurf fürchte, ich sei infolge meines zehnjährigen Aufent-
haltes in Amerika das Opfer eines Vorurteiles zugunsten des gastfreund-
lichen Landes geworden. Ich halte in der Tat die amerikanischen Archi-
tekten heute für die Führer auf dem Gebiete der europäischen Bau-
kunst, und ich denke dabei nicht etwa an die paar Sezessionisten von Chi-
cago wie Sullivan und Wright, die in Deutschland und Holland bekannter
sind als in ihrer Heimat, sondern an die große und in allen Teilen der Union
mächtige Architekturschule, als deren Meister McKim, Mead und White ver-
ehrt werden, und die auf dem sich überlegen gebärdenden europäischen Fest-
land noch wenig gewürdigt wird. Ich bedauere, daß auch in Amerika noch
viel Schlechtes gebaut wird, daß auch drüben oft Akademismus den Geist
ersetzen muß, daß auch beim amerikanischen Publikum die Neigung zum
Kitsch sehr stark ist, und daß auch drüben gelegentlich in geistreichem Exo-
tismus nach gotischen oder Frank Lloydschen Rezepten gesündigt wird.
Aber ich bin auch überzeugt, daß nirgends besser erzogene Augen und besser
geschulter baulicher Geschmack an der Arbeit sind als in Nordamerika.
Bis vor kurzem war es üblich, die amerikanische Baukunst mit dem allge-
meinen Vorwurfe des Akademismus abzutun, als seien Männer wie McKim,
White und Goodhue etwa mit unserem Hofarchitekten von Ihne und seinen
zahlreichen Geistesverwandten auf dieselbe Stufe zu stellen. Ich halte es für
unmöglich, daß McKim ähnlich wie von Ihne das Palais des Prinzen Hein-
rich (die heutige Berliner Universität) durch die aufwendige Staatsbibliothek
oder das alte Schloß und das Kurfürstendenkmal Schlüters mit dem. über-
hohen Marstall erschlagen hätte. Die aufwendige und geschmackunsichere
Protzigkeit unserer beiden Wilhelminischen Zeitalter, die mit dem Reichs-
tagsgebäude ins Kraut zu schießen begann, scheint mir durchaus verschieden
von dem geschmacksicheren amerikanischen Eklektizismus der führenden
Amerikaner.
Da mir aber eingewendet werden könnte, ich habe durch zu lange Ent-
fernung aus der Berliner Luft verlernt, ihre Vorzüge zu schätzen und durch
zu lange Anwesenheit in Amerika ein Vorurteil für amerikanische Baukunst
eingesogen, mögen hier zwei Urteile Platz finden, die in allerletzter Zeit
von englischen Kritikern über die amerikanische Baukunst gefällt wurden.
Auch in England war man bis vor kurzem geneigt, die amerikanischen
Leistungen kurz als knabenhaften Größenwahnsinn kritikloser Beaux-Arts-
Schüler abzutun; um so beachtenswerter ist es, C. und A. Williams-Ellis in
ihrem Buche The Pleasures of Architecture (London, 1924) folgen-
des sagen zu hören:
„Ein architektonischer Stil, der sich in England mit Erfolg eingebürgert
hat, ist der amerikanische. Allerdings ist er nicht in Amerika allein zuhause.
So viele amerikanische Architekten studieren in der Pariser* Eco 1 e des
1 Der Berliner Architekt Werner Hegemann ist der Schriftleiter von „Wasmuths
Monatsheften für Baukunst“ und der Verfasser des kürzlich erschienenen umfangreichen
Bilderatlasses: „Amerikanische Architektur und Stadtbaukunst“, Verlag Ernst Wasmuth,
Berlin. , ' . . , .

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