Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

DOI Heft:
Heft 20
DOI Artikel:
Grohmann, Will: Das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42040#1006

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
demokratischsten Einrichtungen der Gegenwart sehr wohl das leisten, was
Wichert in Mannheim vorschwebte, nämlich die Bildung der Persönlichkeit
durch Erleben der Werte, der lebendig gemachten, nicht der aufgespeicherten.
Verfall und Chaos, wie er es begriff, sind noch nicht überwunden, und seine
Frage an die Universitäten, Museen, Stadtverwaltungen und Ministerien:
haben wir ein höchstes Maß von Stil- und menschenprägender Tätigkeit ent-
faltet, dürfte auch heute noch etwas zaghaft beantwortet werden. Für eine
Stadt wie Halle ist es eine Lebensfrage, innerhalb ihrer Grenzen an der Er-
neuerung der verlorengegangenen gesellschaftlichen Einheit mitzuarbeiten
und alle, die überhaupt etwas wollen, heranzuziehen, also einen lotrechten,
keinen wagerechten Strich durch die Bevölkerung zu machen, daß von allen
Seiten her die Ausformung einer neuen und klar umrissenen, gestalteten Per-
sönlichkeit sich durchsetzt. Es will scheinen, als ob ein richtiger Instinkt die
verantwortlichen Leiter bestimmt hätte, die Basis dazu durch den Ankauf
einer modernen Privatsammlung ziu erweitern in der klaren Erkenntnis, daß
es naturgemäßer ist, vom Heute auszugehen und von der Gegenwart her auch
das Vergangene aufzuhellen, einmal aus Gründen der Kunst- und Kultur-
psychologie, zum andern aus wirtschaftlichen, denn das angelegte Kapital hätte
sicher nicht gereicht, auch nur ein einziges wertvolles Bild der Vergangenheit
zu erwerben und nutzbar zu machen.
Wir haben heute eine Blüte dei' örtlichen Arbeit und der Städtischen
Sammlungen, und das ist gut so. Wir können nur von unten her wieder auf-
bauen, sozusagen Auge in Auge. Jedes echte Kunstwerk ist ein Behältnis des
Lebens, aber für alle mit wenigen Ausnahmen verschlossen, solange es nie-
mand öffnet. Kleine Sammlungen in kleinen Städten sind viel eher in der
Lage, Früchte zu tragen, als die überkommenen Fürstengalerien, deren Nutz-
barmachung für breitere Schichten der Bevölkerung mit weit größeren Schwie-
rigkeiten verbunden ist. Sie sind weiterhin Stätten der Bildung, vielleicht
noch Quellen künstlerischer Anregung für den Nachwuchs der Schaffenden,
aber in der Hauptsache und praktisch doch Archive für Wissenschaftler. So-
weit dagegen die Tätigkeit der kleineren städtischen Sammlungen sich über-
sehen läßt, entsteht der Eindruck, als ob hier in engerer Verbindung mit dem
aktuellen Leben gearbeitet würde, mit klarerer Erkenntnis der Verantwortung
dem Ganzen der Bevölkerung gegenüber und mit dem Wunsch einer Reali-
sierung ihrer Werte. Der Ankauf allein tut es gewiß nicht, wenn auch die
Wahl an sich von entscheidender Bedeutung sein kann; mehr als je sind in der
Gegenwart die Wollenden zu sammeln, weil sonst die an sich schon geringe
Menge von Aktivität in die verschiedensten und zufälligsten Lager abfließt.
Der Vorrat wesentlicher Kunst in Halle beschränkte sich bis Anfang 1925
auf wenige Werke. Von den Älteren waren Lenbach, Schuch, Trübner, Thau-
low, von Impressionisten Liebermann, Corinth, Slevogt vertreten, von den Jün-
geren Leistikow, W. Rösler, C. Herrmann, L. v. Hofmann, Hofer, Beckmann
und Rohlfs. Durch die Sammlung Fischer sind hinzugekommen 7 Ernst Lud-
wig Kirchner, 5 Erich Heckel, 1 Schmidt-Rottluff, 3 Emil Nolde, 2 Otto Müller,
2 Oskar Kokoschka, 2 Franz Marc, 1 Pablo Picasso, 1 Albert Weisgerber,
1 Joseph Eberz. In den Sommermonaten 1925 wurden weiter erworben E. Nol-
des „Haremswächter“ (1911) aus der Sammlung v. Garvens, E. Munchs lebens-
großes Porträt Dr. Linde und Paula Modersohn-Beckers „Weiblicher Akt“
(igo2) vormals Sammlung Ph. Vogeler. Offensichtlich soll die deutsche Kunst
des 20. Jahrhunderts weiter gesammelt werden. Der eine Picasso ist wohl mehr
als Teil der Sammlung Fischer hereingekommen, und Munch wird auch sonst
in die deutsche Entwicklung seit 1900 einbezogen. Der Rundsaal der alten

974
 
Annotationen