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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 23
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Roh, Franz: Gegenständlichkeit: Grundsätzliches zur Wendung neuester Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#1145
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Gegenständlichkeit
(Grundsätzliches zur Wendung neuester Malerei)
Mit acht Abbildungen auf vier Tafeln Von FRANZ ROH
VORBEMERKUNG DER SCHRIFTLEITUNG. Der hier veröffentlichte Aufsatz ist dem
Buch unseres langjährigen Münchener Mitarbeiters entnommen, das unter dem Titel „Nach-
expressionismus (Magischer Realismus), Probleme der neuesten europäischen
Malerei“ mit einem reichen Bildanhang von rund 100 Tafeln in vorbildlicher Ausstattung so-
eben im Verlag von Klinkhardt & Biermann erschienen ist. Das Buch bedeutet die erste
zusammenfassende Darstellung jener entscheidenden Wendung, die die europäische Malerei nach
dem Ende des Expressionismus genommen hat und ist als solche durchaus erstmalig. Die Arbeit
ist von größter Aktualvät. Gerade jetzt, wo die bekannte Ausstellung unter dem Titel „Die
neue Sachlichkeit“ ihren Weg durch Deutschland nimmt, werden die grundsätzlichen Erörterungen
des Rohschen Buches doppelt interessieren.
ICHT an jede Kunst kann die Vergegenständlichung entscheidend heran-
getragen werden. Musik ist immer urschöpferisch, da ihre Phänomene
nicht eigentlich nach Bindung mit der Natur lechzen. Architektur verlangt
auch nicht nach jener Bezogenheit. Die Malerei aber, der die Natur in irgend-
einer Form fast immer zugehörte, hatte im Verlauf des Expressionismus ihre
darstellende, imitative Bedeutung so viel als möglich abgeworfen, wobei das
spezifisch Gegenständliche in Verdacht des Ungeistigen gekommen war. Im
Futurismus war dann die Gegenstandswelt nur in versprengter und abrupter
Weise in Erscheinung getreten. Der Nachexpressionismus versucht hiergegen,
die Wirklichkeit im Zusammenhänge ihrer Sichtbarkeit wiedereinzusetzen.
Elementare Freude der Wiedererkennung tritt aufs neue ins Spiel. Die Malerei
wird wieder Spiegel des greifbaren Außen. Insofern hat man von neuem
Realismus gesprochen, wobei hier aber nicht an eine triebhafte Haltung
gedacht wird, die den letzten Realismen europäischer Kunst zugeordnet war.
Diejenigen Betrachter, die noch hierin wurzeln, befriedigt der neue „kalte,
unlebendige“ Realismus ja nicht im mindesten.
Was mit Gegenständlichkeit gemeint sei, wollen wir mit einem Beispiel
weitertreiben. Wenn ich einige Äpfel auf einem Tische sehe, so habe ich,
auch wenn ich ästhetisch-anschauend bleibe, eine höchst komplexe Empfin-
dung. Nicht nur der Hauch köstlicher Farbe befriedigt mich, woran sich der
Impressionismus ergötzte, nicht nur das abgewandelte Schema farbiger, defor-
mierter Kugelformen, das den Expressionismus fesselte, zieht mich an. Ein
viel umfassenderes Beieinander von Farben, Raumformen, Tastvorstellungen,
Gerüchen, Kauerinnerungen bezwingt mich. Ein eigentlich unausschöpflicher
Komplex, den wir im Begriffe des Dinglichen zusammenschließen. Von
solcher, totalerer Einstellung des Nachexpressionismus aus erscheinen Im-
und Expressionismus als dreiste Vereinfachungen, mit denen man sich einmal
durch einstigen Farboberflächenschimmer, ein anderes Mal durch stereo-
metrische und farbliche Abstraktionen um das hinreißende Gesamtphänomen
betrogen habe. Indem wieder voll verdinglicht wird, treten nun alle jene
Beziehungen und Gefühle ins Spiel, die wir bei bloßen Färb- und Form-
klängen nicht haben. Erst seitdem die Kunst einmal abstrakt geworden war,
konnte das als vage, als leer, als unerfüllt überall mit hingeschleppte Gefühl
des Gegenständlichen neue Durchblutung erfahren, wieder ein Grunderlebnis
werden und entsprechende Darstellung heischen. Erst seitdem man wieder
geistig geworden war, konnte das Vergegenständlichen wieder betonte Lust der
Malerei werden.


Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 33

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