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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 6
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Geisberg, Max: Ein neuer früher Cranach-Holzschnitt
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0194
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Schreibung an Cranach den Älteren bekennen, weil jüngst eine Wiener Arbeit
von Fräulein Hedwig Gollob über den Wiener Holzschnitt von 1490 —1550
alle die bekannten Jugendarbeiten, die Dodgson und Friedländer, Dörnhöffer
und Beth zusammengestellt haben, dem Meister absprechen und ihre Formen-
sprache als Wiener Lokalstil hinstellen möchte. Da indessen die Verfasserin
jenes Buches diese abweichende Auffassung keineswegs durch eine so eingehende
Beweisführung, wie man sie bei der Bedeutung der Frage erwarten sollte,
belegt, so glaube auch ich keine Verpflichtung zu haben, offene Türen ein-
zurennen.
Die zeitliche Ansetzung des Holzschnittes dürfte ebensowenig Schwierigkeiten
bieten. Er gibt sich von vornherein als ein Gegenstück der beiden fast gleich
großen Kalvarienberge des Berliner Kupferstichkabinetts, und es ist wohl kein
Zufall, wenn in der gleichen Sammlung sich ein zweites Exemplar des größe-
ren, bezeichneten und 1502 datierten von beiden sich fand, das nun in der
gleichen Auktion unter den Hammer kommen wird. Das Wasserzeichen ist
dasselbe; das neue Exemplar ist, was die im Berliner Exemplar fehlenden Enden
der Arme des Kreuzes Christi und des Schächers angeht, das vollständigere.
Die Maße des Ölbergs, 589X281 mm, entsprechen denen des undatierten und
mit Recht als früher erachteten Kalvarienbergs (598X284) mehr, als jenen
des datierten (405X292). Auf einem Felsblock in der Ecke unten rechts findet
sich ein Häkchen, das unleugbar eine große Ähnlichkeit mit einer 5 hat, aber
trotzdem einstweilen nicht als Rest einer entsprechenden Datierung zu erweisen
ist. Mögen wir nun den Ölberg als das Gegenstück zu der einen oder der anderen
Darstellung des Kalvarienbergs ansehen, wir kommen kaum an der Schluß-
folgerung vorbei, daß wir hier die Reste einer großen Passionsfolge Cranachs
von (i wenn nicht gar 12 Blatt vor uns haben, in der dieser den älteren
Schöpfungen seines großen Nürnberger Kunstgenossen es gleich zu tun, im For-
mate um wenige Millimeter sogar sie zu überbieten suchte. Auch der St. Stephan
des Passauer Missales vom 25. Mai 1505 ist 1502 datiert, und das gleiche
Jahre gilt gewiß auch für das Kanonbild desselben Buches. Der auf allen diesen
Blättern (mit Ausnahme des undatierten Kalvarienberges) wiederkehrende Jo-
hannestyp macht den Vergleich leicht. Auf dem Ölberg hat besonders die
Wiedergabe des Laubes im Gebüsch und an den Bäumen auffallend viel von
dem Charakter einer Federzeichnung behalten, wie es namentlich auch von dem
undatierten Kalvarienberg gilt. Die hier in ihrer Rückansicht nicht sehr glück-
liche Stellung des Heilandes, mit weit ausgebreiteten Armen, bei der die lang-
gespannten Falten der Kleider die menschliche Figur verschneiden, kehrt auch
später, dann aber von vorn gesehen, noch zweimal bei Cranach wieder, und
zwar sowohl in dem kleinen Schnitte des Wittenberger Heiligtumsbuches B. 91
wie in dem ersten Blatte der Passionsfolge B. 7. Dem Stephanus scheint mir
der Ölberg in der Neigung des Künstlers, die ganze Bildfläche bis auf wenige
Stücke Himmel auszufüllen, besonders nahezustehen. In seiner unmittelbaren
Nähe, zwischen den beiden Kalvarienbergen, dürfte dem neuen Cranach der
Platz anzuweisen sein.
 
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