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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 13
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0436
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Lyonei Feininger Barfüßerkirche. 1926
Neuerwerbung der Mannheimer Kunsthalle
Kodier und vor allem Munch. Von Kodier
ist eine sehr schöne „Thunerseelandschaft“
(1910) erworben worden, eines jener Bilder,
die Kodlers Größe halten werden, wenn uns
sein Flächen- und Linienpathos längst versun-
ken ist. Diese Landschaft glitzert und tönt,
und ihre Bergkonture säumen kristallen die
„Figur“ des Bildes. Der erste Munch, der
hier einzieht, stammt aus jener glücklichen
Zeit, da der Visionengehetzte zum erstenmal
Ruhe fand im gütigen „Haus Linde“. Dessen
„Garten“ ist da gemalt (19öS), im Vorder-
grund letzte verwehende Schrecken, in die Tie-
fen aber jene stolz beschwingte Kraft, jene
jauchzende Natur voller Versöhnung, die hier
dem Künstler sich entringt, von heiligen
Rhythmen getragen. Wer unter seinen Nach-
folgern hielt diese urtümliche Kraft? Da hän-
gen sie alle, die Brückeleute, — und nir-
gends wie hier überläuft einen so stark die
Frage: Was von dem allen bleibt? Dabei sind
sie hier gut vertreten: Wiehert wußte, was er
hängt! Und doch — so dünn und zerfasert,
daß man die wahren und glühenden Impulse,
die dies schufen, nur mehr wie Schemen hin-
ter diesen Farben geistern sieht. In diese Schar
wurde ein Chagall aufgenommen: Ansicht
von Witebsk, — ein in sich federndes, durch-
leuchtetes Bild mit dem geisterhaften Klang
sehr leichten Blaus (auf schweren Formen)
und fantasmogorischen Gelbs im Turmge-
spinst der Stadt im Grunde (1920). Letzter
Ausklang des großen jungen Chagall! Bei Ko-

koschka trieb die Entwicklung in gewissem
Sinn umgekehrt. Er kam aus Zartestem, fast
Medialem, und griff dann immer derber in
Färb- und Weltwirklichkeiten hinein, bis heute
diese Landschaftsimpressionen vor uns stehen,
mit denen er so viel Erfolg hat. Aber neben
diesem neuerworbenen: „Kloveniersburgwall
in Amsterdam“, einem farbig sehr lebhaftem
Bild der letzten Zeit, das von starker Erlebnis-
fähigkeit zeugt, hängt der ,,Dr. Forel“ des
jungen Kokoschka, — und beweist, daß innere
und äußere Erlebnisfähigkeit verschiedene
Grade von Kunst garantieren.
Im weiteren Ausbau der Sammlung hat sich
Kartlaub entschlossen einer Richtung der
heutigen Malerei zugewandt: jenem unter
„Verismus“ notdürftig gefaßten Streben nach
exakter dinglicher Wiedergabe des Geschehe-
nen und oft krasser Betonung eines Charakte-
ristischen bis zur Tendenz. Hier steht neben
dem Klassisch-Kristallenen eines Kanoldt das
Dismorph-Romantisclie eines Mense, dann wie-
der neben dem Tendenziös-Romantischen eines
Dix das Brutal-Realistische eines Groß, neben
dem Naturrealisten Scholz steht der kon-
struktiv-naturalistische Davringhausen usw.
Man wird also gut tun, mit der Benennung
einstweilen noch abzuwarten, desto mehr das
Einzelnschöpferische zu betonen. Das ist am
fraglosesten bei Groß.
Dies „Bildnis Max Hermann-Neisse“ hält in
seiner unerbittlichen Wucht die Kräfte der
Aussage zusammen und hat doch trotz aller
unheimlichen Statik des Aufbaus nichts auf-
gegeben von der zerrüttenden Dynamik jenes
(gleichfalls neuerworbenen): „Blick in die
Großstadt. Zwei Bilder von Dix: „Der Ar-
beiterjunge“, drastisch, grün vor Ressenti-
ment, — und „Die Witwe“: hohes Können
(der Schleier vor der Mauer!), brutale Form-
sucht (nicht -wille!: die Fensterbrüstung in
der prallgelben Mauer!) und so viel roman-
tische Sehnsucht in diesem ganzen „Tatsachen-
referat“. Scholzens „Grötzinger Land-
schaft“ hat etwas vom Geiste des jüngeren
Canaletto (nicht von der Form!), von je-
nem Geiste leiser Achsenverspannungen und
Durchdringungen des Sichtbaren. Kanolds:
„Stilleben“ züchtet sich zu feiner Geistigkeit
hinan, die uns F ein in ger am reifsten bietet.
Daß durch die jüngste Erwerbung seiner,,Bar-
füßerkirche“ nun auch er hier vertreten ist,
beweist, daß die wahren die höchsten Werte
unserer Zeit erkannt werden. Davringhausens
„Selbstbildnis“, das Ergebnisse des „abstrak-
ten Sehens“ verarbeitet, kündet Ausbau nach
dieser Seite hin an. Dr. O. Schürer

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