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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Sonderheft Kunstliteratur
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Die Kunst des Mittelalters und der Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0783
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Die Kunst des Mittelalters und der Renaissance

einzelnen Werken gegenüber stark berichtigt. Mem-
ling wurde damals, als die Romantik die Welt un-
serer »Primitiven« wieder entdeckte, als der Fra
Angelico des Nordens begrüßt, aber er war trotz-
dem kein Rogier, obwohl er von dessen Werkstatt
ausgegangen ist, ja, die Stärke seiner Begabung
war weniger das Altarbild als das Porträt, das ihm
vor allem die Sympathie der in Brügge tätigen
italienischen Handelsherren zugewendet hat. Da der
Cicerone in seinem letzten Jahrgang (XX, Heft2o)
das Resümee der Friedländerschen Untersuchung
in dem Kapitel »Memlings Persönlichkeit« zuerst
veröffentlichen durfte, haben alle Leser dieser Zeit-
schrift, die nicht Spezialisten dieses Gebietes sind,
noch jetzt die beste Gelegenheit, dieses MusterkapU
tel vorsichtig abwägender und überlegen resümie-
render Kritik nachzulesen, das alle Vorzüge der
Friedländerschen Methode in sich vereint. Da heißt
es an einer Stelle, die auch in diesem Zusam-
menhang zitiert sei, wörtlich: »Memling ist weder
ein Entdecker wie van Eyck noch ein Erfinder
wie Rogier. Ihm fehlt die Leidenschaft des Schau-
ens und der Fanatismus des Glaubens.«
Diesem breit und übersichtlich gelagerten AK
schnitt, der für sich das Fazit zieht, folgt im Buch
ein sehr wichtiges und für die Forschung beson-
ders interessantes Kapitel über Memlings Brügger
Zeitgenossen, das u. a. den Meister der Ursula-Le-
gende, den Meister der hl. Lucia eingehend unter-
sucht, an dem Maßstab der Memlingschen Kunst
wertet und an die richtige Stelle versetzt.
Dann der zweite Hauptteil des Buches über Gerard
David, den Mann aus Oudewater genannt. Für die-
sen Meister hat Bodenhausens Buch, das 1905 er-
schien, eine erste Grundlage geschaffen, die auch
Friedländer akzeptiert. Die urkundlich beglaubig-
ten Werke sind erster Ausgangspunkt der Unter-
suchungen, während in den beiden nachfolgenden
Abschnitten, voneinander getrennt, die erste Schaf-
fensperiode, dann die mittlere und späte Zeit Da-
vids nach allen Seiten hin durchleuchtet werden
und anschließend auch der Zeichner und Miniatur-
maler David behandelt wird, wobei nicht nur das
Verhältnis des Künstlers zur gleichzeitigen Brügger
Miniaturmalerei, sondern auch seine eigene Teil-
nahme geklärt werden (Mitarbeit am Breviar der
Isabella von Spanien im British Museum, auf die
zuerst Winkler hingewiesen hat und seine nahen
Beziehungen zur berühmten Familie Bening, in
der wir den Hauptmeister des Codex Grimani su-
chen dürfen). Ein viertes Kapitel sodann abschlie-
ßend nach Analogie der Betrachtung bei Memling
unter dem Stichwort: »Gerard Davids Persönlich-
keit.« David ist nach Friedländer der Holländer,
der in die flandrische Kunst eindringt, »nachdem
er Jan van Eyck, Rogier van der Weyden und
Memling gesehen und sich nach flandrischen Mu-
stern aut flandrische Ansprüche eingerichtet hatte.«
Kopien von seiner Hand und wahrscheinlich aus
den Anfängen seiner Kunst existieren außer nach

den eben erwähnten Meistern auch noch nach dem
Meister von Flemalle und nach van der Goes.
Aber Kopieren war damals nicht unbedingt ein
Zeichen eigener Erfindungsarmut, sondern mehr
durch den Konservativismus der Zeit um i5oo
bedingt. Entscheidend ist, wie David kopiert und
wie er gerade dabei seine Selbständigkeit beweist.
An Davids besonderer Einstellung Jan van Eyck
gegenüber erweist sich — im Gegensatz zu Mem-
ling — seine besondere Originalität: »Etwas von
dem Temperamente, der freudigen Naturbeobach-
tung des genialen Bahnbrechers scheint auf seine
bedächtige Gestaltungsweise überzuspringen.« Im
Gegensatz zu Memling in den Frühwerken dann
bei David »die vollrunde Erscheinung der Figu-
ren, die Nahrhaftigkeit des Raumes, die starken
Gegensätze von Hell und Dunkel«. Dazu aktive
Raumphantasie! Ein Genuß seltener Art, bei F.
nachzulesen, was dieser Holländer etwa aus eige-
nem nach diesem schon etwas müde gewordenen
Brügge mitbringt, wie ihn dieser neue Kulturbe-
griff überwältigt und zu »mathematischer Erha-
benheit« emporführt. Durch ihn erlebt die kirch-
liche Kunst des Mittelalters ihre letzte großartige
Verklärung. Nicht Historienbilder wie Geertgen hat
David gemalt, sondern »Ikone mit idealer Tracht,
freilich in Gebilden von Fleisch und Blut und schö-
nem Menschentum«. Dann noch besonders heraus-
zuheben Davids Verhältnis zur Landschaft, das ähn-
lich dem des Jan van Eyck ist. Jede dieser hier nur
spärlich erwähnten Beobachtungen des Verfassers
deutet auf ein eigenes künstlerisches Erlebnis, auf
eine Schärfe des Blicks dem einzelnen wie auf uni-
verselle Beobachtung dem Ganzen gegenüber, die
immer wieder zur Bewunderung zwingen. Die
Blicksicherheit dieses Kenners ist Gnade des Auges,
die durch Erfahrung wohl vertieft, aber mit kei-
nem Wissen erworben werden kann. Und wie die
ganze Entwicklung einer solchen Kunst durchlebt
ist, wie nach Aufstieg und Höhe Davids Weg bis
zum Ende nachgezeichnet ist, das nicht wie bei an-
deren glücklichste Erfüllung war: »Seine Form wan-
delt sich, da die Unruhe des kritischen Zeitalters so-
gar die konservative Stadt Brügge berührte. Die Ta-
feln aus der mittleren Periode, so die in der Londoner
National Gallery und in Rouen, erinnern an Bro-
kat, haben die Tiefe, Schwere, Dichtigkeit und die
erlesene Kostbarkeit dieser Materie. Die späten
Schöpfungen dagegen wirken kahl, kühl mit lee-
rer Monumentalität, in kaltblütiger Werkstattrou-
tine hervorgebracht.« Der Schluß dieses Abschnit-
tes weist auf Davids Generationsgenossen, den in der
Weltstadt Antwerpen tätigen Quentin Massys hin.
»David, der Letzte der alten Reihe, Massys der Erste
der neuen. Man kann auch das Umgekehrte be-
gründen.« Damit betreten wir bereits die Schwelle
des in diesen Tagen erscheinenden siebenten Ban-
des, nicht ohne nochmals dem Meister des einpräg-
samsten Wortes und des intuitivsten Auges für die-
sen Reichtum an Belehrung, wie ihn gerade der

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