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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Friedländer, Max J.: Juan de Flandes
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0030
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die sich dem Stile nach der Folge der kleinen Bilder anschließt, aber keineswegs dazu ge-
hört, habe ich in Genf, im musee d’Ariana gefunden und in dieserZeitschrift 1 publiziert.
Endlich hat E. Bertaux höchst scharfsichtig in einem Gemälde der Cook-Sammlung zu
Richmond 2 den Meister wiedererkannt (Abb. S. 2). Dies war nicht leicht, weil das
Thema, die Heiligen Michael und Franciscus nebeneinander in relativ großem Maß-
stabe, den Stil bsträchtlich abgewandelt hat. Wir kennen den Meister ja zumeist aus
erzählenden Bildern.

Nachdem das »Werk« Juans also glücklich vergrößert worden ist, werden wir seiner
Persönlichkeit und seiner Leistung gerecht, freuen uns an dieser individuellen Mischung
von nördlicher und südlicher Art und lernen aus dem kunsthistorisch denkwürdigen
Falle. Juan wird 1498 zum erstenmal in den spanischen Urkunden genannt. Kurz
vorher war Margarete, Kaiser Maximilians Tochter, als die Braut des spanischen Thron-
erben nach Spanien gekommen. Vielleicht war der Maler in ihrem Gefolge süd-
wärts gezogen. Jedenfalls wurde Isabellas Neigung für niederländische Maler durch
die politisch folgenreiche doppelte Eheverbindung zwischen der spanisclien und der
burgundisch-deutschen Dynastie in jenen Jahren gesteigert. Juan mag einer Genter
Buchmaler-Werkstätte entstammen, die mit den burgundischen Herrschaften in Be-
ziehung stand.

Unter der südlichen, weiblichen und höfischen Gönnerschaft gewann er viel und verlor
wenig. Nehmen wir die gleichzeitige durchschnittliche niederländische Produktion zum
Maßstabe, so staunen wir über die Beweglichkeit, die Gelöstheit und die maßvolle An-
mut seiner episodenreichen Epik. Derbheit und Schwerfälligkeit hat er im Süden ab-
gestreift. Die Fremdheit der landschaftfichen Natur weitete und schärfte seinen Blick.
Auf dem kahlen, wüstenhaften kastilischen Hochland ging ihm der Sinn auf für Luft,
Raum und Licht. Der Boden stößt wagerecht in die Tiefe. Der Horizont liegt tief.
Die Berge und Gebäude in der Ferne verblassen und lösen sich auf in dem weißlichen
Lichte des Himmels, von dem sich vereinzelte Bäume als dunkle geschlossene Flecken
scharf abheben. Hallenartige, durch Pfeiler getragene Innenräume von nobler Einfach-
heit sind von vielfach gestuftem Licht in zarten Ubergängen erfüllt, präzise gezeichnet
und perspektivisch genau konstruiert.

Die freundliche Würde und Stattlichkeit der Figuren zeigt sich in den einfachen Kom-
positionen am Reinsten, namentlich dort, wo nur zwei GestaJten einander gegenüber-
stehen. Die Männer mit steil gebauten Köpfen sehen jugendlich aus, auch wenn sie
lange Bärte tragen. Ihr Blick aus dunkeln Augen ist stumpf. Die Frauen sind mit aus-
geprägtem Gefühle für sinnlichen Reiz gehildet, mit weichen Wangen, einem kleinen,
aber vollen und etwas vorgeschobenen Mund und dunkler Haarmasse, die wellig in die
Stirn fällt. Die langen, etwas dürren Finger sitzen an einer relativ kurzen Handfläche.
Der Daumen ist lang und schmal.

Der Gewandstoff entfaltet sich in der Bildfläche oft wie geplättet oder gepreßt. Die
gleichmäßig breiten röhrenförmigenHöhen verlaufen zumeist sanft geschwungen, stoßen
selten eckig aufeinander. Oft spannt sich der Stoff straff auf dem gewölbten Körper,
wobei strahlenförmige, bogige Schattenlinien entstehen. Das dem Meister eigene System
der Faltenlagerung wird besonders deutlich in der Tafel aus der Cook-Sammlung.

Die Färbung bleibt stets harmonisch, silbrig und kühl bei diffusem Liclit. In dem zier-
lichen und zarten Vortrage wird mit geschlossenem Email und schimmernder Farb-
Iläche die Tugend der niederländischen Malkunst auf südlichem Boden bewahrt — ohne
Rücksicht auf die riesigen Maße der spanischen Altarwerke und die Lichtverhältnisse
der dortigen Katliedralen.

1 Jahrg. XXI, Heft g, S. 254.

2 Katalog Nr. 490 (95 : 83 cm).

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