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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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[Heft 13/14]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0432
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L. Boilly Die Tochter des Bildhauers Houdon

Sammlung Baron Henri de Rothschild
Aus der Ausstellung der Galerie Jacques Seligmann, Paris

zusammen gelebt haben. Denn aus allen Zeiten
stammen die entzückenden Werke, in denen der
Künstler fortwährend verkündet: Ilonfleur (i83o)
gleicht la Bochelle (i85i) und la Rochelle gleicht
Diinkirchen (1873). Einige selir schöne Frauen-
figuren mischten sich unter diese Landschaften.
BeiJacques Seligmannim IlotelSagan haben
die P'reunde des Museums Carnavalet eine Ausstel-
hing des Kleinmeisters Louis Boilly veranstaltet
(1761 bis i8/|5). Schon lange sind die Bilder dieses
geschickten Anekdotenerzählers, der eine seltene
Mischung der slrcngen Malweise der David-Schule
und des lcichten Geistes des Dix-huitieme zeigt,
von den Sammlern gesucht: Der Louvre und Car-
navalet besitzen eine gute Anzahl davon. Mit Ililfe
einiger französischer und ausländischer Kunstlieb-
haber — der Baron Henri de Rotbschild scliickte
nicht weniger als i5 Werke — gelang es, diese be-
grenzte, aber angenehme Kunst besser kennenzu-
lernen. P. C.

LONDONER AUSSTELLUNGEN

Der Burlington Fine Arts Club veranstal-
tet in seinen Räumen eine Ausstcllung der »Art
in the Dark Ages in Europe«. Diese dunkle Zeit
europäischer Kunstgeschichte, in der AussteRung

unter Ausschließung byzantinischer Kunst
auf die Jahre 4oo bis 1000 n. Chr. be-
schränkt, umschließt die Völkerwande-
rung, die Wickinger-Zeit, die merovin-
gische und karolingische Epoclie. Für
England begreift sie die heidnische und
christliche Zeit des anglosächsischen Staa-
tes und die Anfangsjabre der Wickinger-
Periode ein, für Irland die kcltische Zeit.
Die vielen Ausstellungsgegenstände, die
schon als einsame Reste alter Kultur,
nicht nur als Zeugen eines bestimmten
künstlerischen Niveaus interessant sind,
offenbaren die Urquellen europäischer
Kunstgesinnung und ihre Speisungdurch
reichen Zufluß an Formideen aus dem
Osten. Elemente skytischer Kunst kamen
durch die Vermiltlung der griecliischen
Kolonisten am Schwarzen Meer nach
dem Westen, altsibirische Motive wurden
von den germanischen Stämmen über-
nommen, die Muster des germanischen
Keilschnitts drangen westlich an den
mittleren Rhein und in das nordöstliche
Gallien. Metallarbeiten und Schmuck-
waren, die cloisonne- und en cabochon-
Technik weisen auf östliche Ursprünge.
Eine Fülle gestanzter Eisenplatten, ein-
gelegter Schwerter, buntperliger Ketten,
plastischer Tierfiguren und Schreine il-
lustrieren jene dunkle Zeit, zeigen die
Wirkung der geographischen Völkerver-
schiebungen auf die Kultur der Länder.
So ist Irland ein interessantes Beispiel,
das vom romanischen Einstrom nicht berührt
wurde und bis zur Besetzung durcli die Norweger
eine blühende Kunst entwickelte, die vom Ein-
strom des Keltentums aus Mitteleuropa im 5. Jahr-
hundert in ihrem Charakter bestimmt wurde. And-
rerseits gibt es Bronzeschüsseln, im südlichen Eng-
fand gefunden, die koptischen Ursprungs sind und
aus Ägypten stammen. Und so ist für den Laien,
und dies sind fast alle, die diesen Dingen gegen-
überstehen — vor allem jener Wechselstrom der
Kunstgesinnung von Ost und West, jene mächtige
künstlerische Fernwirkung starker Völkerstämme
üiberraschend.

Wir erwähnen im folgenden aus der Fülle einige
besonders schöne Ausstellungsobjekte: Eine kleine
Bronzegruppe von St. Peter und Paul (Bes. Mr.
G. Eumorfopulos), die von 38o n. Chr. stammt
und erst vor acht Jahren in Rom gefunden wurde,
bringt die Monumentalität großer Kunstwerke in
kleinsten Ausmaßen. Zwei goldgetriebene Hirsche,
skytisch, 5. Jahrliundert, aus Gräbern in Tapios-
zcntmarton und Zöldhalompuszta stammend (Un-
garisches National-Museum, Budapest), wirken ah-
solut modern in ihrcr Formensprache und pla-
stisch sicheren Behandlung. Prachtvoll sind zwei
teutonische Armbänder mit Tierstudien (Ungari-

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