brauweiler: kapitelsaal.
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in der karolingischen Epoche ist im wesentlichen der Kanon der Parallelen und Vergleiche festgestellt
worden, der sich in Brauweiler benutzt findet. An erneute Rezeption der Stoffkreise aus dem Oriente,
an neuere Anleihen brauchen wir keineswegs zu denken. Der theologische Ratgeber des Brauweilerer
Künstlers brauchte nur in den bekannten abendländischen Auslegern des Hebräerbriefes nachzuschlagen,
um hinlängliches Material an Illustrationen für die Verse des 11. Kapitels und an typologischen Be-
ziehungen zu finden - - und um den Weg zu finden, auch die weiteren Verse in derselben Weise auszu-
deuten und zu belegen.
Es ist endlich die Frage zu stellen, ob für die ikonographische Ausbildung der einzelnen Szenen dem
Künstler eine gemeinsame, zusammenhängende Quelle vorlag oder vorgelegen haben muß, und welcher
Art diese war. Daß der Maler die sämtlichen Szenen nicht neu erfand, erfinden konnte, liegt auf der
Hand. Hatte er ein förmliches Vorlagebuch zur Verfügung, wie wir das in den Händen der romanischen
Maler - - der Monumentalmaler wie der Buchmaler - - für die Szenen des Alten und des Neuen Testa-
mentes annehmen müssen? Man denkt dann an eine Handschrift mit den Schilderungen der Heiligen-
leben - - und da es sich hier vorzugsweise um die Märtyrer handelt, qui per fidem vicerunt regna und
qui testimonio fidei probati inventi sunt, so möchte man an die illustrierte Handschrift eines Martyro-
logiums denken. Es könnten ja auch andere frühmittelalterliche Denkmäler solche Vorbilder an die Hand
geben, etwa Elfenbeinarbeiten von der Art jener
Pyxis des Britischen Museums aus dem 6. Jh., die
Daniel in der Löwengrube und das Martyrium des
h. Menas bringt123, aber die ganze Folge der in
Brauweiler dargestellten Szenen wäre doch wohl
nur in einer Bilderhandschrift zu vermuten.
Es kommen aus dem östlichen Kunstkreis hier
vor allem die M e n o 1 o g i e n in Betracht. Diesen
liturgischen dem Laufe des Jahres folgenden Kom-
pilationen von Heiligenleben liegt zumeist die Be-
arbeitung des Simeon Metaphrastes aus der Zeit
des Konstantinus Porphyrogenitus (912—959) zu-
grunde, die dann unter Basilius II. einer neuen
Redaktion unterzogen ward124.
Das bekannteste Beispiel dieser ganzen Hand-
schriftengruppe ist die berühmte Prachthandschrift der Vaticana, die den Namen des Basilius II. selbst
trägt125. Nur die Hälfte des zweibändigen Werkes ist illustriert, aber auf diesen Zeitraum (September
bis Februar) entfallen rund 400 Illustrationen. Der Heilige ist als Orant dargestellt, häufiger aber ist
sein Tod oder irgendein wichtiges Ereignis aus seinem Leben gegeben. In die Bilder haben sich sieben ver-
schiedene Künstler geteilt, und auch der Text stammt von verschiedenen Händen: deutlich erweist sich,
daß hier keine Originalarbeit vorliegt — auch diese Sammlung geht auf allerlei frühere Originale zurück.
Millet vermutet wohl mit Recht, daß lokale Menologien und Ikonen die Vorbilder abgaben, und daß vor
allem die Martyria, wie sie seit dem 5. Jh. sich in Kleinasien und in Syrien in solcher Zahl erhoben,
Darstellungen mit solchem Inhalt enthalten mußten. Diese vatikanische Handschrift scheint für ihre
Zeit eine Art kanonische Bedeutung gehabt zu haben, die vom Berge Athos stammende Handschrift der
Fig. 285. Die Siebenschläfer in dem Menologium des Basilius.
123 Dalton, Catalogue of early Christian and byzantine u. Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cistercienser-
antiquities 1901, Nr. 297. — Catalogue of Ivory Carvings in orden XVIII, 1897, S. 195. Vgl. dazu die Besprechungen
the British Museum 1909, Nr. 12. i. d. Byzantin. Zeitschrift VI, S. 198, 625; VII, S. 234.
124 Über die Menologien vgl. Albert Ehrhard, For- 125 II menologio di Basilio II, Codices e Vaticanis selecti,
schungen zur Hagiographie der griechischen- Kirche vor- vol. VIII. Turin 1907. Vgl. über die Handschrift und die
nehmlich auf Grund der hagiographischen Handschriften verwandten anderen Codices Millet bei Michel, Hist. de
von Mailand, München und Moskau: Römische Quartal- l'art I, p. 237. -- Dalton, Byzantine art and archaeology
schritt XI, 1897, S. 67. Hippolyte Delehaye, Les p. 479. - - Labarte, Hist. des arts industriels I, p. 181. -
menologes grecs: Analecta Bollandiana XVI, 1897, p. 311. - Frantz, Gesch. d. Christi. Malerei I, S. 241. - Beissel,
P. Ildefons Veith, Die Martyrologien der Griechen: Studien Vatikanische Miniaturen, Taf. 16. Diehl, Manuel p. 591.
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in der karolingischen Epoche ist im wesentlichen der Kanon der Parallelen und Vergleiche festgestellt
worden, der sich in Brauweiler benutzt findet. An erneute Rezeption der Stoffkreise aus dem Oriente,
an neuere Anleihen brauchen wir keineswegs zu denken. Der theologische Ratgeber des Brauweilerer
Künstlers brauchte nur in den bekannten abendländischen Auslegern des Hebräerbriefes nachzuschlagen,
um hinlängliches Material an Illustrationen für die Verse des 11. Kapitels und an typologischen Be-
ziehungen zu finden - - und um den Weg zu finden, auch die weiteren Verse in derselben Weise auszu-
deuten und zu belegen.
Es ist endlich die Frage zu stellen, ob für die ikonographische Ausbildung der einzelnen Szenen dem
Künstler eine gemeinsame, zusammenhängende Quelle vorlag oder vorgelegen haben muß, und welcher
Art diese war. Daß der Maler die sämtlichen Szenen nicht neu erfand, erfinden konnte, liegt auf der
Hand. Hatte er ein förmliches Vorlagebuch zur Verfügung, wie wir das in den Händen der romanischen
Maler - - der Monumentalmaler wie der Buchmaler - - für die Szenen des Alten und des Neuen Testa-
mentes annehmen müssen? Man denkt dann an eine Handschrift mit den Schilderungen der Heiligen-
leben - - und da es sich hier vorzugsweise um die Märtyrer handelt, qui per fidem vicerunt regna und
qui testimonio fidei probati inventi sunt, so möchte man an die illustrierte Handschrift eines Martyro-
logiums denken. Es könnten ja auch andere frühmittelalterliche Denkmäler solche Vorbilder an die Hand
geben, etwa Elfenbeinarbeiten von der Art jener
Pyxis des Britischen Museums aus dem 6. Jh., die
Daniel in der Löwengrube und das Martyrium des
h. Menas bringt123, aber die ganze Folge der in
Brauweiler dargestellten Szenen wäre doch wohl
nur in einer Bilderhandschrift zu vermuten.
Es kommen aus dem östlichen Kunstkreis hier
vor allem die M e n o 1 o g i e n in Betracht. Diesen
liturgischen dem Laufe des Jahres folgenden Kom-
pilationen von Heiligenleben liegt zumeist die Be-
arbeitung des Simeon Metaphrastes aus der Zeit
des Konstantinus Porphyrogenitus (912—959) zu-
grunde, die dann unter Basilius II. einer neuen
Redaktion unterzogen ward124.
Das bekannteste Beispiel dieser ganzen Hand-
schriftengruppe ist die berühmte Prachthandschrift der Vaticana, die den Namen des Basilius II. selbst
trägt125. Nur die Hälfte des zweibändigen Werkes ist illustriert, aber auf diesen Zeitraum (September
bis Februar) entfallen rund 400 Illustrationen. Der Heilige ist als Orant dargestellt, häufiger aber ist
sein Tod oder irgendein wichtiges Ereignis aus seinem Leben gegeben. In die Bilder haben sich sieben ver-
schiedene Künstler geteilt, und auch der Text stammt von verschiedenen Händen: deutlich erweist sich,
daß hier keine Originalarbeit vorliegt — auch diese Sammlung geht auf allerlei frühere Originale zurück.
Millet vermutet wohl mit Recht, daß lokale Menologien und Ikonen die Vorbilder abgaben, und daß vor
allem die Martyria, wie sie seit dem 5. Jh. sich in Kleinasien und in Syrien in solcher Zahl erhoben,
Darstellungen mit solchem Inhalt enthalten mußten. Diese vatikanische Handschrift scheint für ihre
Zeit eine Art kanonische Bedeutung gehabt zu haben, die vom Berge Athos stammende Handschrift der
Fig. 285. Die Siebenschläfer in dem Menologium des Basilius.
123 Dalton, Catalogue of early Christian and byzantine u. Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cistercienser-
antiquities 1901, Nr. 297. — Catalogue of Ivory Carvings in orden XVIII, 1897, S. 195. Vgl. dazu die Besprechungen
the British Museum 1909, Nr. 12. i. d. Byzantin. Zeitschrift VI, S. 198, 625; VII, S. 234.
124 Über die Menologien vgl. Albert Ehrhard, For- 125 II menologio di Basilio II, Codices e Vaticanis selecti,
schungen zur Hagiographie der griechischen- Kirche vor- vol. VIII. Turin 1907. Vgl. über die Handschrift und die
nehmlich auf Grund der hagiographischen Handschriften verwandten anderen Codices Millet bei Michel, Hist. de
von Mailand, München und Moskau: Römische Quartal- l'art I, p. 237. -- Dalton, Byzantine art and archaeology
schritt XI, 1897, S. 67. Hippolyte Delehaye, Les p. 479. - - Labarte, Hist. des arts industriels I, p. 181. -
menologes grecs: Analecta Bollandiana XVI, 1897, p. 311. - Frantz, Gesch. d. Christi. Malerei I, S. 241. - Beissel,
P. Ildefons Veith, Die Martyrologien der Griechen: Studien Vatikanische Miniaturen, Taf. 16. Diehl, Manuel p. 591.
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