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734 vorhänge und teppiche in ihrer einwirkung auf die monumentalmalerei.

langen Leinenstreifen deutlich den bewegten angelsächsischen Stil in einer primitiven Technik, freilich
erst aus dem 12. Jh. In Spanien ist der fast 4 m breite Teppich im Dom zu Gerona mit der Darstellung
der Schöpfung, der Paradiesesflüsse und Monatsbilder45, in Deutschland sind im Dom zu Halberstadt jene
bekannten Wirkteppiche erhalten, die durchaus noch dem strengen romanischen Stil des 12. Jh. angehören
(Fig. 488), die gröberen Seitenstickereien um 1200 im Berliner Kunstgewerbemuseum und endlich jener
ganz ohne Vorgänger und Parallele in der nordischen Kunst dastehende Knüpfteppich in der Größe von
7x6 m, den die Äbtissin Agnes von Quedlinburg (1186—1203) aus farbiger Wolle fertigen ließ mit der
Allegorie der Vermählung des Mercurius und der Philologia im Anschluß an Martianus Capella46.

Zur gleichen Zeit etwa, unter dem Abt Bartholomäus (f 1224), entstanden in der Abtei St. Maximin
in Trier die im Chor der Kirche aufgehängten Teppiche, von denen die Inschriften in dem Cod. 1337 der
Trierer Stadtbibliothek erhalten sind - - sie geben uns wieder zum Teil profane Stoffe, die von hohem
ikonographischem Interesse sind, und die, wären sie selbst auf uns gekommen, ein Gegenstück zu dem
berühmten Teppich in Quedlinburg darstellen würden. Auf jenem Wandgemälde von St. Aposteln
(Taf. XXXV) waren uns die beiden antiken Lieblingsautoren des Mittelalters nebeneinander erschienen;
wie dort Marcianus Capella gibt hier Boetius zum Teil das Thema. Es handelt sich um einen reichen
Zyklus. Zunächst die vier Kirchenväter und dazu Athanasius und Beda. Weiter zwei Gruppen, die jedes-
mal sich zu entsprechen scheinen. Sokrates—Aristoteles, Xenophon—Discretio; dann Boetius und die
Philosophie, Diogenes und der Dieb, weiter das Bild des Abtes, wohl als Stifter. Es wird dann ein
zweiter Teppich genannt mit Darstellungen symbolischer Art, sicherlich waren hier nach dem Physio-
logus Phönix, Löwe, Panther, Lamm, Rhinozeros, Hirsch abgebildet47.

Von einer großen Folge von Tapisserien mit profanen Darstellungen, Schilderungen gleichzeitiger
Ereignisse weiß die Zimmernsche Chronik zu erzählen. Nach dem J. 1100 hatte die Gräfin Elisabeth
von Teck mit neun ihrer Frauen während eines Zeitraumes von neun Jahren an diesen Teppichen gearbeitet,
die beide Langseiten des Chores in der Kirche von Herrenzimmern bedeckten. Sie zeigten die Geschichte
der Wallfahrt der drei Brüder von Zimmern, der Schwäger der Gräfin, nach Jerusalem in fortlaufender
Folge — vielleicht eine Arbeit ähnlich der der Tapete von Bayeux48.

Aus derselben Zeit (um 1100) stammt das Gedicht, das Baudri, der Abt von Bourgueil, der Gräfin
Adele von Blois, der Tochter Wilhelms des Eroberers, gewidmet hat, in dem er die Ausstattung des Schlaf-
gemaches seiner Dame beschreibt. Auf der einen Schmalwand auf den Teppichen Darstellungen vom
Chaos bis zur Sündflut. Auf der ersten Langwand Bilder aus der jüdischen Geschichte von Noah bis
Salomo, auf der zweiten Geschichten aus der griechischen und römischen Sage, von Pyramus und Thisbe,
Orpheus und Eurydice bis zur Gründung von Alba Longa. Auf der letzten Schmalwand die Eroberung
Englands durch die Normannen. Ob es sich um die Beschreibung eines wirklich vorhandenen Raumes

45 Vgl. zu den Stickereien des 11. Jh. in katalanischen
Kirchen Jos. Gudiol y Cunill, Nocions de arqueologia
sagrada Catalana, Vieh 1902, p.30.— Jos. Balari y Jovany,
Origines histöricos de Cataluha, cap. VII. Civilizaciön mit
Angabe der Quellen.

46 Die Halberstädter und Quedlinburger Wandteppiche,
am besten abgebildet bei Jul. Lessing, Wandteppiche und
Decken des Mittelalters in Deutschland, Berlin 1903. Ha-
seloff hebt in der Besprechung in der deutschen Literatur-
zeitung 1903, Nr. 19, S. 1186, mit Recht hervor, daß der
Quedlinburger Teppich schon den unruhigen, scharfbrüchi-
gen Stil zeige, den die sächsische Kunst in dieser Zeit unter
byzantinischem Einfluß ausbildet. In den Handschriften
tritt dieser Stil im allgemeinen erst 1210 auf, hier also
wesentlich früher. Zu den Halberstädter Teppichen vgl.
M. Creutz, Aus der Werkstatt des Rogerus in der Zs. f.
Christi. Kunst XXII, 1909, Sp. 364 m. Abb. — Ders., An-
fänge des monumentalen Stiles in Norddeutschland, Köln
1910, S. 45. Hier ist der Versuch gemacht, diese Stücke mit

den Goldschmiedearbeiten der westfälisch-rheinischen Roge-
rusgruppe in einen gewissen Zusammenhang zu bringen.
Zu dem Quedlinburger Teppich vgl. noch E. Michael,
Kulturzustände des deutschen Volkes während des 13. Jh.,
Freiburg 1911, S. 410. Gute Aufnahmen in situ bei Soil,
Tapisseries conservees ä Quedlinburg, Halberstadt et quel-
ques autres villes du nord de l'Allemagne: Bulletin de la
Gilde de Saint-Thomas et de Saint-Luc XXII, 1889. -
E. Müntz, Histoire de la tapisserie I, Allemagne p. 3. -
Marquet de Vasselot, Le tresor de l'abbaye de Quedlin-
burg: Gazette des Beaux-Arts 3me per. XX, 1898, p. 305,
316.

17 Die Inschriften gedruckt bei Fr. X. Kraus, Christi.
Inschriften der Rheinlande II, S. 180.

48 Zimmernsche Chronik: Bibl. d. literar. Vereins Stuttgart
XCI, S. 98; 2. Aufl. S. 106. — Henri Hagenmeyer, Etüde
sur la chronique de Zimmern: Archives de l'Orient latin II,
1882, p. 17. — J. Guiffrey, Les tapisseries du XIIme ä
la fin du XVIme siecle p. 3.
 
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