Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Cohn-Wiener, Ernst
Die Entwicklungsgeschichte der Stile in der bildenden Kunst (Band 1): Vom Altertum bis zur Gotik — Leipzig: Druck und Verlag bei B. G. Teubner, 1917

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.53043#0080
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
7 Vl. Das frühe Mittelalter in Deutſchland und der ſog. roman. Stil

Sechſtes Kapitel.

Das frühe Mittelalter in Deutſchland und der ſog
romaniſche Stil.

Die klnfänge der germaniſchen Völkerwanderungskunſt entwickeln
ſich überall auf antikem Kulturboden. Der Süden Rußlands, Spanien
und Gallien waren ſchon ſeit helleniſcher eit koloniſiert, das Rhein-
gebiet war ſeit Cäſar vielleicht das wichtigſte õentrum römiſcher Provin-
zialkunſt, ſelbſt Ungarn, das in der Völkerwanderung der Tummel-
plaz aller Stämme war, hatte ſich dem römiſchen Reichtum nicht ver-
ſchließen können. So ſtießen die Germanen überall, wo ſie weilten oder
ſich anſiedelten, auf eine Kunſt, die zwar nicht klaſſiſch antit war, aber
doch als Provinzialkunſt unter antikem Einfluß ſtand, und an deren
Formenreichtum ſie nicht ohne weiteres vorbeigehen konnte. So iſt bei-
ſpielsweiſe das Grabmal, das die Oſtgoten in Ravenna ihrem König
Theoderich errichteten, trotz mancher germaniſchen õüge doch im weſent-
lichen ein Monument ſpätantiker Kunſt. Die Entwicklung wird durch
die Völkerwanderung ebenſowenig unterbrochen wie durch die Ent-
ſtehung des Chriſtentums; ſo wenig, daß man die Völkerwanderungs-
kunſt nur als ein Bindeglied anſehen darf, das ſpätrömiſche Elemente
hinübergeführt hat bis ins germaniſche Mittelalter. Jener aus ſpät-
antiken Elementen gebildete Schmuckſtil, den man kurzweg den Völker-
wanderungsſtil genannt hat, iſt fortgebildet worden bis weit in die
karolingiſche Zeit hinein.
Uberall, wo in dieſen Jahrhunderten germaniſche
Völker geweilt haben, hebt man aus ihren Gräbern
Schmuckſtücke, vor allem Gewandnadeln (Fibeln), ge-
ziert mit Goldzellen, in die rote indiſche llmandine ge-
fügt ſind (bb.38). Glänzend umfaſſen die goldenen Ti-
nien den tiefroten Stein, Zelle drängt ſich neben Zelle, ſo
ſtrahlend und köſtlich, daß auch der geringere Mann,
für den das edle Material zu koſtbar war, des Schmuckes
nicht entbehren mochte und rotes Glas in Bronze faßte,
ein intereſſanter Beweis für die auch ſonſt belegte Be-
hauptung, das llltertum hätte die Bronze nicht pati-
niert, ſondern in ihrer glänzenden Naturfarbe ange-
wandt. Jndeſſen ließen die einfachen Motive dieſer ſog.

bb. 38
Griff und
Beſchlag v.
Schwert d.
Childerich.
Paris.
 
Annotationen