18 I. Die italieniſche Renaiſſance
aus dem unſicheren vielerlet die Einheit der graßen Bewegung, und
es darf uns nicht wundernehmen, hier die Antithefe von Skopas und
praxiteles wiederzufinden, die Steigerung des Husdrucks zu gleicher Seit
nach den beiden ſcheinbar entgegengeſetzten Richtungen zarteſter Lieb⸗
lichieit und kräftigſten Bewegungsausdruckes. Zog ſich dieſer Gegen—
ſaß ſchon durch die ganze Frührenaiſſance, in der der umbriſche Kreis
ausnützte, was Florenz fich erarbeitet hatte, wie Athen einſt das Körper-
ſtudium der Dorer, ſo gewinnt er jetzt in Raffael und Michelangelo
feinen ftärkſten gusdruck. Raffael (1483—1520) fängt noch ganz alter-
tümlich an; ſeine vermählung Mariãä iſt keineswegs als räumlicher
Organismus verſtanden, der vorgang im vordergrund iſt ohne Be-
ziehung zum Raum, in dem hier und da einzelne Geſtalten ohne Su-
jammenhang mit der Handlung verteilt ſind. In ſeinen reifen Werken
aber, etwa von 1506 ab, ſchmiegt ſich die Handlung vollkommen mit
dem Raum zuſammen. Die Kompofition wird räumlich gegliedert, wäh—
rend andererſeits die verteilung der Geſtalten den Raum in allen ſeinen
Teilen belebt und zugleich die Entfernungen beſtimmt. Ebenſo wie
naffael gelernt hat, den Menſchen in ſeinen Bewegungen zu verſtehen
und zu formen, hat er aus dem Bild einen bewegten Organismus ge⸗
ſchaffen, in dem alles Flächenhafte ſich gelöft hat. Allein er bleibt dabei
immer ruhig und zart bis zur Weichheit. Er zeichnet gelaſſen ſtehende,
ruhig ſchreilende und lagernde Geſtalten und ſeine Kompoſition beruht
nicht auf der wirkung von Kontraſten, ſondern auf der weichen Führung
der Bildlinien, auf feinſter Abftufung im Nebeneinander der Geſtalten.
Ganz anders Michelangelo. Er empfindet nicht nur Schönheit, ſondern
ſeeliſche Erſchütterungen. Seine Menſchen ſind in ſcharfen Richtungs—
kontraſten bewegt, ſo daß ihr flusdruck ſich bis aufs äußerſte ſteigert,
und die Uompofition ſeiner werke beruht nicht auf feinfühliger Ab⸗
ſtufung, ſondern auf der Dramatik des Gegenſätzlichen. Man nehme
ſeine Erſchaffung Adams aus den Fresken an der Decke der Sixtiniſchen
Kapelle (Abb. 8). 3wei Maſſen begegnen einander. Hottyater durch
die machtvollen Linien des Mantels mit den Engeln zuſammengeballt,
und Adam, deſſen ſtark differenzierte Bewegung durch die Linien des
hügels hinter ihm zuſammengenommen iſt So treffen ſich die hände,
von deren Berührung die bewegende Kraft in den Körper ſtrömt, im
leeren Raum, und der Kontraſt verbindet ſich zur Einheit. Su dieſem
räumlichen Gegenſatz tritt der Gegenſatz der Geſtalten. Gottvater
und ſein Gefolge erſcheinen als eine ungeheure Maſſe. Man ſollte
aus dem unſicheren vielerlet die Einheit der graßen Bewegung, und
es darf uns nicht wundernehmen, hier die Antithefe von Skopas und
praxiteles wiederzufinden, die Steigerung des Husdrucks zu gleicher Seit
nach den beiden ſcheinbar entgegengeſetzten Richtungen zarteſter Lieb⸗
lichieit und kräftigſten Bewegungsausdruckes. Zog ſich dieſer Gegen—
ſaß ſchon durch die ganze Frührenaiſſance, in der der umbriſche Kreis
ausnützte, was Florenz fich erarbeitet hatte, wie Athen einſt das Körper-
ſtudium der Dorer, ſo gewinnt er jetzt in Raffael und Michelangelo
feinen ftärkſten gusdruck. Raffael (1483—1520) fängt noch ganz alter-
tümlich an; ſeine vermählung Mariãä iſt keineswegs als räumlicher
Organismus verſtanden, der vorgang im vordergrund iſt ohne Be-
ziehung zum Raum, in dem hier und da einzelne Geſtalten ohne Su-
jammenhang mit der Handlung verteilt ſind. In ſeinen reifen Werken
aber, etwa von 1506 ab, ſchmiegt ſich die Handlung vollkommen mit
dem Raum zuſammen. Die Kompofition wird räumlich gegliedert, wäh—
rend andererſeits die verteilung der Geſtalten den Raum in allen ſeinen
Teilen belebt und zugleich die Entfernungen beſtimmt. Ebenſo wie
naffael gelernt hat, den Menſchen in ſeinen Bewegungen zu verſtehen
und zu formen, hat er aus dem Bild einen bewegten Organismus ge⸗
ſchaffen, in dem alles Flächenhafte ſich gelöft hat. Allein er bleibt dabei
immer ruhig und zart bis zur Weichheit. Er zeichnet gelaſſen ſtehende,
ruhig ſchreilende und lagernde Geſtalten und ſeine Kompoſition beruht
nicht auf der wirkung von Kontraſten, ſondern auf der weichen Führung
der Bildlinien, auf feinſter Abftufung im Nebeneinander der Geſtalten.
Ganz anders Michelangelo. Er empfindet nicht nur Schönheit, ſondern
ſeeliſche Erſchütterungen. Seine Menſchen ſind in ſcharfen Richtungs—
kontraſten bewegt, ſo daß ihr flusdruck ſich bis aufs äußerſte ſteigert,
und die Uompofition ſeiner werke beruht nicht auf feinfühliger Ab⸗
ſtufung, ſondern auf der Dramatik des Gegenſätzlichen. Man nehme
ſeine Erſchaffung Adams aus den Fresken an der Decke der Sixtiniſchen
Kapelle (Abb. 8). 3wei Maſſen begegnen einander. Hottyater durch
die machtvollen Linien des Mantels mit den Engeln zuſammengeballt,
und Adam, deſſen ſtark differenzierte Bewegung durch die Linien des
hügels hinter ihm zuſammengenommen iſt So treffen ſich die hände,
von deren Berührung die bewegende Kraft in den Körper ſtrömt, im
leeren Raum, und der Kontraſt verbindet ſich zur Einheit. Su dieſem
räumlichen Gegenſatz tritt der Gegenſatz der Geſtalten. Gottvater
und ſein Gefolge erſcheinen als eine ungeheure Maſſe. Man ſollte