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Die Tendenz des Stiles 45



es iſt nur natürlich, wenn wir eine parallele Erſcheinung auch im Innen-
raum der Barockkirche finden. Hier iſt die Kuppel zugleich Zuſammen—
faffung und Auflöfung; nach ihr zu öffnen ſich hauptſchiff, Seitenſchiffe
und Altarraum in mächtigen Bogen. Sie faßt den Raum in ſich zu—
ſammen und läßt ihn mit ihrer großen Sahl von Fenſtern in den Luft⸗
raum verſtrömen. Sie beherrſcht den Raum, und es war daher keine
pietätloſigkeit, fondern im Gegenteil die kibſicht einer beſonderen Wir-
tungsſteigerung, die der leuchtenden Kuppel Michelangelos ein düſteres
Tangſchiff vorlegte.

Die Kuppel der Barockkirche iſt keine tektoniſche berknotung der Bau⸗
teile, wie die der romaniſchen Kirche (Bd. I, fibb. 41) Sie ſchließt den
Bau nicht als kerchitekturglied zuſammen, ſondern wirkt durchaus male—
riſch und zwingt durch ihr Licht das Auge nach derstelle des intenſivſten
ausſtröniens din. Sie iſt nicht ſo ſehr Körper wie Beleuchtungseffekt,
ja neben der ruhigen llrchitektur der romaniſchen Kuppel iſt ſie geradezu
formlos. icht nur weil bei dieſer nur vier Fenſter in den Ecken die
Struktur betonen, während hier acht Fenſter das ganze hund durch—
brechen und in Schein und Widerſchein ihre Konturen und die Konturen
der Kuppelteilungen verwiſchen; auch der Dekor wirkt an dieſer Zer⸗
ſetzung mit. 3war noch werden die hauptlinien, die Begrenzungen der
Kuppel und der Zwickel, von denen ſie getragen wird, feſtgehalten,
allein überall hinein ſetzt ſich ſchon das lebhafteſte Ornament, Ranken,
die in komplizierteſten Kurven hewegt ſind, oder figürlicher Ichmuck.

Gerade er gibt den Formen die Überleitung zur Rebenform, ſo, wenn
der Ichlußſtein der Bögen, in denen ſich das hauptſchiff nach dem Seiten:
ſchiff öffnet, und dem eigentlich ein ganz tertoniſches Hefühl zugrunde
lag, in eine Ranke umgeformt wird, von der aus ein kleiner Engel
mit den händen bis in die Obermauer hinübergreift, oder wenn die
Zwickel, auf denen die Kuppel ruht, dieſe wichtigen ſtruktipen Glieder,
nicht nur mit reichverſchlungenem Bandornament gefüllt, ſondern von
ihm geradezu zerriffen und am Rand vollkommen aufgelöſt werden.
Für diefen Aufputz fand man im Stuck den ſchmiegſamen Stoff, der
fich willig jeder Sorm fügte. Gerade dieſes Material hat ungeheure
' Derheerungen in den romaniſchen Kirchen angerichtet, die man mit
ſeiner hilfe ſehr leicht barock umdekorieren konnte.

Die voilkommene Überwindung der Zweckbedingungen durch tech-
niſche Gewandtheit und die reichſte Ausbildung der dekerativen Sormen
macht alſo das Bauwerk frei für jede Art des künſtleriſchen klusdrucks.
 
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