Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
46 III. Der Barockſtil.



Die vollkommene Sprengung des früher durch ſeine natürlichen Be—
dingungen begrenzten Raumes iſt ſeine erſte Abficht, ihr Reſultat an
der Faſſade die kuflöſung der Stockwerksbegrenzungen nach oben, im
Innenbau die Raumauflöſung durch die Kuppel. Daß man anderer—
ſeits danach ſtrebt, die Bauteile möglichſt miteinander zu verknüpfen,
iſt nur ſcheinbar ein Paradoxon. Vielmehr bedeutet beides eine Auf:
hebung der funktionellen Differenzierungen zugunſten einer einheit—
lich dekorativen Wirkung.

Damit aber hört die Rirche auf, allein ihrem Swede zu dienen,
und wird ein künſtleriſch repräſentatives Monument. Der krchitekt
ſelbſt wird ein großer hofherr mit vielen Titeln, den man ſich von
weit her, in Deutſchland meiſt aus Italien oder Frankreich kommen
läßt. Das Wort Künſtler bekommt damals ſchon jenen Sinn des herri—
ſchen Gegenſatzes zum handwerk. Und die Zünfte führen oft einen ver—
zweifelten Kampf gegen Leute, die ihnen nicht angehören und unmittel⸗
bar im Dienſte der Fürſten an den einträglichſten Stellen ſtehen. Wie
die Kirche wird auch die Meſſe aus einem Gottesdienſt immer mehr
zu einem ekſtatiſchen Schauſpiel. Ihr Eindruck liegt nicht mehr in ihren
klaren Worten, ſondern in der Muſik, die ausdrucksvoller Träger ihrer
Stimmung wird. Hier bedeutet Bachs hohe Meſſe in H-NMoll den Höhe-
punkt. Man darf die Rückkehr unſerer Zeit zu Bach nicht als Rückkehr
zum Primitiven anſehen, wie das wohl geſchehen iſt. Er iſt nicht primi—
tiv. Die mittelalterliche Meſſe mochte es fein, die ihre Muſik aus dem
Rhythmus des geſprochenen Textes folgerte. Bach iſt der echte Barock—
meiſter, wie Mozart in ſeinem geſteigerten Kusdruck der echte Rokoko—
meiſter iſt. Wie im Eredo der H-Moll-Mejfe ſich die Oboe um die Solo—
ſtimme legt, das hat ſeine frappanteſten Parallelen im Verhalten der
Barockranke zu den gedrehten Säulen, in deren tiefe Windungen ſie
ſich einſchmiegt. Mit der Meſſe wird auch ihre Zelebration zum Schau—
ſpiel. Wie der Römer an die Stelle der kunſtreichen griechiſchen Arbeit
das Prunken mit pfundſchweren Goldarmbändern ſetzte, ſo tritt nun
an die Stelle der fein geformten Geräte die Pracht reicher Gewänder,
mit Edelſteinen überſäter Mitren und Biſchofsſtäbe. Es macht einen
ſeltſamen Eindruck von kultivierter Barbarei, im Domſchatz zu Lim—
burg a. L. neben den edlen mittelalterlichen Emailreliquiaren Ornat—
ſtücke des Barock zu finden, die in der Form ohne jede Feinheit ſind,
bei denen aber die Fülle der Perlen und glitzernden Edelſteine kein
Fleckchen des Grundes freiläßt.
 
Annotationen