DIE ZEIT DES KÄMPFENS UND REIFENS
Eine Kunst des Fanatismus. — Religiöse Gesetze verbieten dem Rechtgläubigen die
Darstellung von Mensch und Tier. Damit ist der islamischen Kunst der Weg versperrt,
den Indien, Ostasien, Europa gingen. Plastik und Malerei schalten für die Kunst aus
und damit jeder unmittelbare seelische Ausdruck. Die entscheidenden Künste werden
Baukunst und Kunsthandwerk. Gerade sie, die Moscheen, Häuser, Paläste, Geräte
bilden, müßten streng an die Zweckerfüllung gebunden sein. Statt dessen ergießt sich
nun der volle Strom der Phantasie, überall abgedämmt, in diese Bahnen. Die Freude
an der sinnlichen Formung entscheidet im Islam über das Schicksal der Zweckkünste.
Daher die schöpferische Freiheit der Baukunst und die Triebkraft des Ornamentes,
daher die Fähigkeit, fremde Formen bedingungslos aufzunehmen und zu eigenen um-
zuwandeln. Daher die Entwicklung jedes Handwerks, besonders der Keramik, zu einer
Vielseitigkeit und Biegsamkeit, die selbst an den Wänden riesiger Bauwerke aus-
drucksvoll bleibt. Mit der Leichtigkeit eines echten Künstlertums werden schwierige
Probleme zu leuchtenden Werken, neben denen Ostasien schlicht, Europa unfähig
wirkt. Ein französischer Gobelin ist ein Wandgemälde mit textilen Mitteln — ein per-
sischer Teppich ist durchaus Teppich, bleibt Fläche und ist trotzdem von einem Reich-
tum, neben dem der Gobelin förmlich trocken erscheint. Eine italienische Fayence
ist ein Gefäß, das eine Darstellung trägt — eine islamische Vase bleibt durchaus
Gerät und ist doch das reichste, schillerndste Werk, das das Kunsthandwerk kennt.
Wie in Tausendundeine Nacht oder dem Papageienbuch kein Märchen in sich sein
Ende findet, jedes zugleich Teil einer anderen Erzählung ist, die es umrahmt und
weiterleitet, wie in ihnen nichts logisch, aus Gründen, alles wie aus dem Spieltrieb des
Dichters geschieht, ist auch die islamische Kunst ein bezauberndes Spiel phantastischer
Formschöpfungen.
Diese Freiheit der Formung war nur möglich, weil der Islam selbst ein flutender Strom
ist und keine irgendwo festgewurzelte Kultur. Die islamische Kunstentstehtaufeiner
ganz anderen Basis als jede andere. Sie ist nicht die Kunst eines Volkes, das sie als
seinen Formwillen durchbildet, sondern einer Religion, die als fanatische Bewegung lebt.
Von der schmalen Basis Arabiens bricht 632 nach Mohammeds Tod der Sturm los. In
erstaunlich kurzer Zeit überflutet er den größtenTeil Asiens, ganz Nordafrika und kommt
in Europa erst im Herzen Frankreichs zum Stehen. 635 fällt Damaskus, ein Jahr später
1 21
Eine Kunst des Fanatismus. — Religiöse Gesetze verbieten dem Rechtgläubigen die
Darstellung von Mensch und Tier. Damit ist der islamischen Kunst der Weg versperrt,
den Indien, Ostasien, Europa gingen. Plastik und Malerei schalten für die Kunst aus
und damit jeder unmittelbare seelische Ausdruck. Die entscheidenden Künste werden
Baukunst und Kunsthandwerk. Gerade sie, die Moscheen, Häuser, Paläste, Geräte
bilden, müßten streng an die Zweckerfüllung gebunden sein. Statt dessen ergießt sich
nun der volle Strom der Phantasie, überall abgedämmt, in diese Bahnen. Die Freude
an der sinnlichen Formung entscheidet im Islam über das Schicksal der Zweckkünste.
Daher die schöpferische Freiheit der Baukunst und die Triebkraft des Ornamentes,
daher die Fähigkeit, fremde Formen bedingungslos aufzunehmen und zu eigenen um-
zuwandeln. Daher die Entwicklung jedes Handwerks, besonders der Keramik, zu einer
Vielseitigkeit und Biegsamkeit, die selbst an den Wänden riesiger Bauwerke aus-
drucksvoll bleibt. Mit der Leichtigkeit eines echten Künstlertums werden schwierige
Probleme zu leuchtenden Werken, neben denen Ostasien schlicht, Europa unfähig
wirkt. Ein französischer Gobelin ist ein Wandgemälde mit textilen Mitteln — ein per-
sischer Teppich ist durchaus Teppich, bleibt Fläche und ist trotzdem von einem Reich-
tum, neben dem der Gobelin förmlich trocken erscheint. Eine italienische Fayence
ist ein Gefäß, das eine Darstellung trägt — eine islamische Vase bleibt durchaus
Gerät und ist doch das reichste, schillerndste Werk, das das Kunsthandwerk kennt.
Wie in Tausendundeine Nacht oder dem Papageienbuch kein Märchen in sich sein
Ende findet, jedes zugleich Teil einer anderen Erzählung ist, die es umrahmt und
weiterleitet, wie in ihnen nichts logisch, aus Gründen, alles wie aus dem Spieltrieb des
Dichters geschieht, ist auch die islamische Kunst ein bezauberndes Spiel phantastischer
Formschöpfungen.
Diese Freiheit der Formung war nur möglich, weil der Islam selbst ein flutender Strom
ist und keine irgendwo festgewurzelte Kultur. Die islamische Kunstentstehtaufeiner
ganz anderen Basis als jede andere. Sie ist nicht die Kunst eines Volkes, das sie als
seinen Formwillen durchbildet, sondern einer Religion, die als fanatische Bewegung lebt.
Von der schmalen Basis Arabiens bricht 632 nach Mohammeds Tod der Sturm los. In
erstaunlich kurzer Zeit überflutet er den größtenTeil Asiens, ganz Nordafrika und kommt
in Europa erst im Herzen Frankreichs zum Stehen. 635 fällt Damaskus, ein Jahr später
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