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Conze, Alexander
Reise auf der Insel Lesbos — Hannover, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.34182#0015
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Am Abende des 18. Juli 1858 war unser kleines Fahrzeug von Limnos her in den Hafen von Tene-
dos eingelaufen, aber erst am Morgen des folgenden Tages liess man uns ans Land, weil die Förmlich-
keiten der Quarantaine, um so ärgerlicher, je wenigei' sie wirklich strenge durchgeführt wurden, es so
verlangten. Die heutige Stadt, wie wir sie vom Meere aus sahen, nimmt sich ganz stattlich aus. Zwischen
zwei Buchten tritt auf felsigem Vorsprunge das Kastell heraus, an das sich die Wohnhäuser anschliessen.
Die Stadt von Tenedos hat immer an dieser Stelle gelegen. Es bietet die Küste nur hier auf der ganzen
Insel mit dem Felsvorsprunge und den Hafenbuchten zu dessen beiden Seiten jene Lieblingsform der grie-
chischen Ansiedler i), wo für eine Stadt Festigkeit zugleich und Bequemlichkeit des Seeverkehres sich
zusammenfand. Mit so günstiger Bildung der Küste vereinigt der Platz nun weiter seine Lage an der
grossen Verkehrsstrasse zwischen zwei Meeren dicht vor dem Eingänge in den Hellespont, wie das der
türkische Name Bogas-Adassi, die Insel der Meerenge, bezeichnend ausdrückt. Wir hatten am 19. Juli
frischen Nordwind und da war ein wahres Gewimmel von Schiffen auf dem Meere vor dem Hafen; immer
fünf sechs hatte man in Sicht, die mit dem Winde südwärts fuhren, während die aufwärts nach den Dar-
danellen bestimmten gegenüber nahe der asiatischen Küste still lagen. Da begriff man, dass dieser Stadt-
platz, wenn auch bei der Kleinheit und dem Mangel an eigenen Hülfsmitteln der Insel im mannigfachsten
Wechsel seine Selbstständigkeit, nie aber sein Leben, seinen Verkehr einbüssen konnte. Diese immer
erneute Bewohnung hat dann gewiss die Schuld hier, wie so vielerorts, dass die Spuren einer älteren Zeit
sehr verwischt sind. Ich konnte wenigstens Nichts von Ueberresten des Alterthums in der Stadt erfragen 1 2)
und auch bei einem Ritte, den ich Nachmittags in das Innere der Insel unternahm, liess sich kaum hie
und da in der Umfriedigung des türkischen Begräbnissplatzes ein unbedeutender Stein mit alter Form
entdecken. Es ist eine weite nach Norden gegen das Meer hin offene Niederung, in welcher ich auf die-
sem Ritte bis zu den Gärten der Konsuln, wie man sie mir nannte, kam. Die nirgends erheblichen Höhen
der Insel sind überall kahl, das Flachland ist voller Weinpflanzungen, während man nur wenig Korn sieht
und an Holz grosser Mangel ist. Das nöthige Brennholz sogar wird von Aussen her auf die Insel gebracht;
einträgliches eigenes Product ist nur der Wein, dessen Güte gerühmt wird. Mit dem Grundbesitze geht
es jetzt hier wie auch sonst in der griechischen Türkei; Häuser uud Ländereien gehen immer mehr in die
Hände der Christen über und diese behaupten, dass sogar eine bemerkliche Verminderung der türkischen
Bewohner stattfinde, welche sich bei abnehmendem Wohlstände nach dem asiatischen Festlande, wo sie
mehr unter sich sind, zurückzögen.
Trotz mannigfach gastfreundlicher Aufnahme konnte nach den Erfahrungen meines eintägigen Auf-
enthaltes mir Nichts an einem längeren Bleiben auf Tenedos gelegen sein, so dass ich ungeduldig am fol-
genden Morgen das Dampfschiff des österreichischen Lloyd erwartete, welches mich nach Lesbos auf einen
nach aller Wahrscheinlichkeit für die Beobachtung reicheren Boden bringen sollte. Es war eines der
1) Reise auf den Inseln des thrak. Meeres. S. 81.
2) So auch frühere Reisende. Pococke description of the East (III, S. 32 f. der Uehers. von v. Windheim) spricht von
Trümmern eines Marmorbaus an der Brustwehr vor dem Kastell.

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