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Conze, Alexander
Reise auf der Insel Lesbos — Hannover, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.34182#0017
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auffallende Grösse, auch durch eine gewisse occidentalische Nettigkeit sich auszeichnende römisch-katholische
Kirche; als ehrendes Zeugniss für Sinn und Streben der griechischen Einwohnerschaft ist aber die bei den
Verhältnissen des Ortes wirklich überraschend stattlich eingerichtete, auch mit Sammlungen verschiedener
Art versehene Schule zu nennen, welche rein aus Privatmitteln der Raja gegründet wurde und unterhalten wird.
Durch reichlichen Baumwuchs, durch die erquickende Nähe des Meeres und eine entzückende Aus-
sicht auf den Meeresarm und auf die Höhenzüge der asiatischen Küste besonders gehoben lässt die Lieb-
lichkeit der Lage des Ortes, dessen ausgezeichnet gesundes Klima ausserdem von den Bewohnern gerühmt
wird !), noch heute es lebendig begreifen 1 2), dass der vornehmen römischen Welt die Hauptstadt der Insel,
welcher sie einen hohen Rang unter allen im mittelländischen Meere gelegenen zu geben pflegten3), als
einer der wünschenswertesten Aufenthaltsorte erschien. Ich darf nur an Horazens Ode an den Plancus
erinnern: Laudabunt alii claram Rhodon aut Mytilenen 4). Und welch ein Erdenplatz damals, als in viel
früherer griechischer Zeit eine reiche Blüthe feiner geistiger Bildung hier in der Umgebung solcher Natur
sich entfaltete! Dahin im Gegensätze zu heute wurden die Gedanken geführt, als ich gleich am zweiten
Tage zu der Höhe über dem kleinen Kastell 5) zur Mittagszeit hinaufstieg und nun die reiche Aussicht vor
mir hatte auf Stadt und Hafen und die mit den Landhäusern, den sogenannten itupfot, überstreuten Berge,
das Meer unten glatt und glänzend und drüber hin die Bergreihen von Kleinasien. Eine einzelne Platane
stand da oben voll und rund in der Sonnengluth, in ihrer Krone schrillte eine Zikade und unter ihr im
Schatten schnarchte ein Türke.
Bedeutende natürliche Vorzüge, welche ganz besonders beitrugen, den Ort zu einem seit Anfang
unsrer geschichtlichen Kunde bestehenden Sammelplätze städtischen Lebens zu erheben, sind im Laufe der
Zeit verwischt und namentlich gründlich in den letzten Jahrhunderten unter der Herrschaft eines wenn
auch nicht so schlechthin barbarisch zu nennenden, aber doch schlecht regierten Volkes, wie das türkische.
Zwei Hafenbuchten zusammen mit einer in das Meer vorspringenden zu schützender Befestigung geeigne-
ten Höhe zwischen sich bildeten hier abermals, wie ich schon bei Tenedos darauf hinwies, eine solche
Gestaltung des Küstenbodens, wie sie die griechischen und vorgriechischen Ansiedler am Mittelmeere ganz
besonders zur Städtegründung anlockte, indem feste Sicherheit des Wohnplatzes und leichte Beweglichkeit
im Seeverkehre in ihr sich am vollkommensten zusammenfand. Die Gunst der natürlichen Bildung hatten
die alten Mytilenäer mit thätiger Hand noch gesteigert. Sie schirmten jede der beiden Hafenbuchten durch
weitvorgeschobene steinerne Dämme noch besser gegen alles Unwetter und gegen feindlichen Angriff und
zogen, ganz wie es in dem ähnlich gelegenen Knidos 6) geschah, von Hafen zu Hafen einen quer durch
ihre Stadt laufenden Kanal. Durch diesen wurde die leichteste Bewegung des Verkehres erst vollendet;
sie konnten mit ihren Schiffen den Wind, der der Aus- oder Einfahrt am einen Hafen zuwider sein
mochte, auf der entgegengesetzten Seite als einen günstigen benutzen. Nachdem dann schon längst die
selbstständige Volkskraft des Ortes immer mehr erlahmt war, nachdem auch der letzte Glanz, den die
Gunst der weltherrschenden Roma hierher warf, mit dem Untergange der ganzen römischen Welt erloschen
war, sind diese Werke zerfallen. Von dem Kanäle weiss heute der Besucher der Stadt auch nicht eine
Spur mehr zu entdecken, doch gewiss in seiner Richtung läuft heute der Bazar, jetzt die Hauptverkehrs-
strasse, von einer Hafenbucht zur andern; die Hafendämme aber, übei’ deren aus den Fugen gerissene
Blöcke, wenn der Wind geht, das Meer schäumend seine Wellen schlägt, haben endlich nur dazu gedient,
die immer wachsende Versandung beider Häfen ihrer Vollendung näher zu führen. Der nördliche obgleich
1) ganz im Widerspruche gegen Vitruvs sed positum non prudenter (de arch. I, 6.).
2) Anagnostis führt türkische Beinamen für die Insel an: goldene Insel, Garten des ottomanisclien Reichs.
3) Zander, Beiträge zur Kunde der Insel Lehos. S. 5.
4) Zander a. a. 0. S. 19 führt noch einige Stellen an.
5) über einer der Südspitzen der Halbinsel, als weisses Viereck auf unserm Plane gezeichnet.
Newton history of the discoveries at Halicarnassus, Cnidus and Branchidae, die ich nicht zur Hand habe.
 
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