0 KUNST UND ÄSTHETIK 0
Die sozialistische Weltanschauung in
der französischen Malerei XrJ.^Li;s
Die gewaltige soziale Spannung, die Frankreich seit den dreißiger und vierziger Jahren des letzten
Jahrhunderts erfüllt, suchte nicht nur in der Literatur, sondern auch in den bildenden Künsten nach Ausdruck.
Allein in der Malerei findet man eine lange Reihe von Werken — teils von starker künstlerischer Kraft,
teils von nur kulturhistorischem Interesse — die den Weg der sozialistischen Bewegung begleiten. Es sind
Darstellungen von Wirklichkeit und.. Traum mit dem Pathos der Anklage gegen die ökonomischen und
sozialen Zustände der Gegenwart. Ästhetisch ist diese Malerei als eine Sonderart sozialer Tendenzkunst,
im Grunde: sozialerKunst überhaupt zu werten. Das Buch, das dieser Tendenz nach auf der Grenzscheide
zwischen Kunstwissenschaft und Soziologie steht, beschäftigt sich in seinem theoretischen Teil mit der
Kunst als soziologischer Erscheinung. Orientierende Worte streifen die Resultate der Ethnologie und Archäo-
logie, die ergeben, daß schon in prähistorischen Zeiten soziale Motive — im weitesten Wortsinn — Anlaß
zur Kunsttätigkeit gaben. Die dogmengeschichtliche Darstellung verfolgt die soziologische Kunstbetrachtung
u. a. bei Taine, besonders bei Guyau, dem verdienten Verfasser des Werkes „L'Art au point de vue sozio-
logique". Zu seinen Ausführungen ergeben sich in der deutschen Ästhethik überraschende Parallelen. Der
Verfasser, der mit Guyau alles reine Stoffinteresse abweist, kommt dabei zum Schluß, daß immer da, wo
zwischen einer formalistischen, rein optischen Kunstwertung und einer ans Stoffliche gebundenen idealistischen
Auffassung vermittelt wird, die Kunst als ethischer, d. h. auch als sozialer Faktor auftritt. Anderer Art
wieder ist die humanitäre Kunsttheorie des achtzehnten Jahrhunderts, deren wahren ästhetischen Kern man
heute zu leicht übersieht. Die Lehren Diderots und Sulzers sind es auch, an die sich zum Teil die sozia-
listischen Kunsttheorien anschließen. Aktueller sind heute die Erörterungen über Marxismus und Kunst.
Mit aller Objektivität wird das Verhältnis der Sozialdemokratie zur materialistischen Weltanschauung be-
leuchtet — denn davon hängt ihr inneres Verhältnis zur Kunst ab. Die orthodoxe Lehre und ihre Inter-
pretation durch den Autor wird besonders interessant im Vergleich mit den Modifikationen in Frankreich
und Belgien; Länder in denen der Sozialismus voll affektiver, religiöser, sensueller Momente ist — die dem
Kunstschaffen- und Genießen in gleicher Weise förderlich sind. Die Stilgeschichte des sozialistischen Tendenz-
bildes in Frankreich zeigt diese Kunst als stete Begleiterin realistischer Strömungen. Die teils kunst-
historische , teils kulturgeschichtliche Würdigung der sozialistischen Tendenzbilder erhält ihren zeitpsycho-
logischen Hintergrund in einer eingehenden Schilderung der französisch-sozialistischen Weltanschauung und
ihrer historischen Wurzeln. Dabei wird aber auch dem individuellen Willen, der genialen Schöpferkraft
und der persönlichen Ausdrucksfähigkeit der Maler eine größere Rolle zugeschrieben, als es etwa die
Milieutheorie erlauben würde. Auf Grund dieser, von Guyau vorgebildeten Methode werden die empfind-
samen Vorläufer — die sozialen Tendenzkünstler — geschildert, dann folgen Beispiele bis zur modernen
Lichtmalerei (neben den kleinen Realisten Tassaert, Antigna, u. a. die Meister Daumier und Delacroix).
Andere Künstler, die oft mit dem Sozialismus in Verbindung gebracht werden, Gavarni, Millet, Courbet,
erhalten eine neue persönliche Rubrik. Die kunsthistorisch fruchtbarste Periode sind die letzten dreißig
Jahre. Neben Namen wie Bastien-Lepage, Roll, Steinlen, begegnet uns zu Ende des letzten Jahrhunderts
Adler, der die modernen ästhetischen Werte der Massenpsychologie in immer neuen rhythmischen Formen
als pathetische Anklage zur Mitwelt reden läßt. Das Buch, dessen Inhalt hier nur kurz angedeutet werden
kann, gehört zu den geistvollsten Beiträgen dieser Art und wird ebenso die Kunstgalehrten, Künstler und
Ästhetiker wie die Philosophen und Soziologen interessieren, überhaupt Jeden, der den Fragen nach den
tieferen Zusammenhängen zwischen Leben und Kunst Interesse entgegenbringt. ::
W Bürgers Kunstkritik TicnultiSWlZ
B. KLEMM. Bd.I: Neuere Bestrebungen der Kunst/Landschaftsmalerei.
Geh. M. 3—, geb. M. 4 —
Das Werk ist die erste und einzige deutsche Ausgabe der bedeutenden und bahn-
brechenden Essays Theophile Thores, die fundamentale Grundlage für die Kenntnis der
französischen Kunst des 19. Jahrhunderts. — Die „Voss. Zeitung" schreibt:
„W. Bürger, der Schriftstellername des französischen Kritikers Theophile Thore, ist den intimen
Rembrandtfreunden wohlbekannt. Er war es ja, der vor etwa fünfzig Jahren zuerst wieder auf das größte
Maler-Genie Hollands hingewiesen, den siegreichen Kampf gegen das vernichtende Urteil der „Akademiker"
begonnen hat. Fast zweihundert Jahre hatte die öffentliche Meinung gegen den unvornehmen, unwahren
und banalen Rembrandt geherrscht. Bürger hat das unbeirrbare, feinfühlige Verständnis, das dem eigenen
gebildeten Auge mehr als der Überlieferung traut, auch für moderne Kunst gehabt. Seine Salonberichte
aus den Jahren r844—r848 und r86i—1868 beweisen das. In Deutschland ist ihre französische Gesamt-
ausgabe von 1870 kaum bekannt. So muß die geschmackvolle, übersichtlich zusammengestellte Auswahl in
guter Ubersetzung dankbar begrüßt werden. Ihr Untertitel „Neue Bestrebungen in der Kunst, Land-
schaftsmalerei", ist zugleich das Thema der Essays, die den eigentlichen Salonberichten vorangestellt sind.
In ihnen findet der Forscher neuerer Kunst manche wichtige Notiz. AVertvoller aber erscheint mir die
Gesamtauffassung dieses im höchsten Sinne vornehmen Kritikers, der überall gediegene Universalbildung,
vorurteilslose, scharfsinnige Überlegung und taktvolles Eingehen auf künstlerische Eigenart verrät. Denn
Bürger-Thore ist selbst Künstler gewesen. Seine Schilderungen der Bilder von Theodore Rousseau, den
er bei den wechselnden Ausstellungen immer wieder feinsinnig charakterisiert, oder von Ruisdaels „Busch"
im Louvre, sind eigentlich Nachdichtungen; sein Erleben eines sonnigen Wintertages im bereiften Wald,
seine Entdeckung der Alpen gehören zum Reizvollsten, was über Naturschönheit geschrieben ist. Seine
Auffassung, sein Stil sind nirgends schlechter als die Kunstwerke, von denen er spricht. Wie oft bleibt
diese Forderung der Kunstchriftstellerei unerfüllt. Das kleine Buch ist sehr geeignet, das Kunstverständnis
weiter Kreise zu fördern und zu vertiefen, aber auch der Kritiker kann aus den Zeilen dieser längst ver-
storbenen Kollegen für seine Arbeit lernen." ::
Band II und III dieses Werkes erscheinen in gleichem Umfange noch in diesem Jahre.
Die sozialistische Weltanschauung in
der französischen Malerei XrJ.^Li;s
Die gewaltige soziale Spannung, die Frankreich seit den dreißiger und vierziger Jahren des letzten
Jahrhunderts erfüllt, suchte nicht nur in der Literatur, sondern auch in den bildenden Künsten nach Ausdruck.
Allein in der Malerei findet man eine lange Reihe von Werken — teils von starker künstlerischer Kraft,
teils von nur kulturhistorischem Interesse — die den Weg der sozialistischen Bewegung begleiten. Es sind
Darstellungen von Wirklichkeit und.. Traum mit dem Pathos der Anklage gegen die ökonomischen und
sozialen Zustände der Gegenwart. Ästhetisch ist diese Malerei als eine Sonderart sozialer Tendenzkunst,
im Grunde: sozialerKunst überhaupt zu werten. Das Buch, das dieser Tendenz nach auf der Grenzscheide
zwischen Kunstwissenschaft und Soziologie steht, beschäftigt sich in seinem theoretischen Teil mit der
Kunst als soziologischer Erscheinung. Orientierende Worte streifen die Resultate der Ethnologie und Archäo-
logie, die ergeben, daß schon in prähistorischen Zeiten soziale Motive — im weitesten Wortsinn — Anlaß
zur Kunsttätigkeit gaben. Die dogmengeschichtliche Darstellung verfolgt die soziologische Kunstbetrachtung
u. a. bei Taine, besonders bei Guyau, dem verdienten Verfasser des Werkes „L'Art au point de vue sozio-
logique". Zu seinen Ausführungen ergeben sich in der deutschen Ästhethik überraschende Parallelen. Der
Verfasser, der mit Guyau alles reine Stoffinteresse abweist, kommt dabei zum Schluß, daß immer da, wo
zwischen einer formalistischen, rein optischen Kunstwertung und einer ans Stoffliche gebundenen idealistischen
Auffassung vermittelt wird, die Kunst als ethischer, d. h. auch als sozialer Faktor auftritt. Anderer Art
wieder ist die humanitäre Kunsttheorie des achtzehnten Jahrhunderts, deren wahren ästhetischen Kern man
heute zu leicht übersieht. Die Lehren Diderots und Sulzers sind es auch, an die sich zum Teil die sozia-
listischen Kunsttheorien anschließen. Aktueller sind heute die Erörterungen über Marxismus und Kunst.
Mit aller Objektivität wird das Verhältnis der Sozialdemokratie zur materialistischen Weltanschauung be-
leuchtet — denn davon hängt ihr inneres Verhältnis zur Kunst ab. Die orthodoxe Lehre und ihre Inter-
pretation durch den Autor wird besonders interessant im Vergleich mit den Modifikationen in Frankreich
und Belgien; Länder in denen der Sozialismus voll affektiver, religiöser, sensueller Momente ist — die dem
Kunstschaffen- und Genießen in gleicher Weise förderlich sind. Die Stilgeschichte des sozialistischen Tendenz-
bildes in Frankreich zeigt diese Kunst als stete Begleiterin realistischer Strömungen. Die teils kunst-
historische , teils kulturgeschichtliche Würdigung der sozialistischen Tendenzbilder erhält ihren zeitpsycho-
logischen Hintergrund in einer eingehenden Schilderung der französisch-sozialistischen Weltanschauung und
ihrer historischen Wurzeln. Dabei wird aber auch dem individuellen Willen, der genialen Schöpferkraft
und der persönlichen Ausdrucksfähigkeit der Maler eine größere Rolle zugeschrieben, als es etwa die
Milieutheorie erlauben würde. Auf Grund dieser, von Guyau vorgebildeten Methode werden die empfind-
samen Vorläufer — die sozialen Tendenzkünstler — geschildert, dann folgen Beispiele bis zur modernen
Lichtmalerei (neben den kleinen Realisten Tassaert, Antigna, u. a. die Meister Daumier und Delacroix).
Andere Künstler, die oft mit dem Sozialismus in Verbindung gebracht werden, Gavarni, Millet, Courbet,
erhalten eine neue persönliche Rubrik. Die kunsthistorisch fruchtbarste Periode sind die letzten dreißig
Jahre. Neben Namen wie Bastien-Lepage, Roll, Steinlen, begegnet uns zu Ende des letzten Jahrhunderts
Adler, der die modernen ästhetischen Werte der Massenpsychologie in immer neuen rhythmischen Formen
als pathetische Anklage zur Mitwelt reden läßt. Das Buch, dessen Inhalt hier nur kurz angedeutet werden
kann, gehört zu den geistvollsten Beiträgen dieser Art und wird ebenso die Kunstgalehrten, Künstler und
Ästhetiker wie die Philosophen und Soziologen interessieren, überhaupt Jeden, der den Fragen nach den
tieferen Zusammenhängen zwischen Leben und Kunst Interesse entgegenbringt. ::
W Bürgers Kunstkritik TicnultiSWlZ
B. KLEMM. Bd.I: Neuere Bestrebungen der Kunst/Landschaftsmalerei.
Geh. M. 3—, geb. M. 4 —
Das Werk ist die erste und einzige deutsche Ausgabe der bedeutenden und bahn-
brechenden Essays Theophile Thores, die fundamentale Grundlage für die Kenntnis der
französischen Kunst des 19. Jahrhunderts. — Die „Voss. Zeitung" schreibt:
„W. Bürger, der Schriftstellername des französischen Kritikers Theophile Thore, ist den intimen
Rembrandtfreunden wohlbekannt. Er war es ja, der vor etwa fünfzig Jahren zuerst wieder auf das größte
Maler-Genie Hollands hingewiesen, den siegreichen Kampf gegen das vernichtende Urteil der „Akademiker"
begonnen hat. Fast zweihundert Jahre hatte die öffentliche Meinung gegen den unvornehmen, unwahren
und banalen Rembrandt geherrscht. Bürger hat das unbeirrbare, feinfühlige Verständnis, das dem eigenen
gebildeten Auge mehr als der Überlieferung traut, auch für moderne Kunst gehabt. Seine Salonberichte
aus den Jahren r844—r848 und r86i—1868 beweisen das. In Deutschland ist ihre französische Gesamt-
ausgabe von 1870 kaum bekannt. So muß die geschmackvolle, übersichtlich zusammengestellte Auswahl in
guter Ubersetzung dankbar begrüßt werden. Ihr Untertitel „Neue Bestrebungen in der Kunst, Land-
schaftsmalerei", ist zugleich das Thema der Essays, die den eigentlichen Salonberichten vorangestellt sind.
In ihnen findet der Forscher neuerer Kunst manche wichtige Notiz. AVertvoller aber erscheint mir die
Gesamtauffassung dieses im höchsten Sinne vornehmen Kritikers, der überall gediegene Universalbildung,
vorurteilslose, scharfsinnige Überlegung und taktvolles Eingehen auf künstlerische Eigenart verrät. Denn
Bürger-Thore ist selbst Künstler gewesen. Seine Schilderungen der Bilder von Theodore Rousseau, den
er bei den wechselnden Ausstellungen immer wieder feinsinnig charakterisiert, oder von Ruisdaels „Busch"
im Louvre, sind eigentlich Nachdichtungen; sein Erleben eines sonnigen Wintertages im bereiften Wald,
seine Entdeckung der Alpen gehören zum Reizvollsten, was über Naturschönheit geschrieben ist. Seine
Auffassung, sein Stil sind nirgends schlechter als die Kunstwerke, von denen er spricht. Wie oft bleibt
diese Forderung der Kunstchriftstellerei unerfüllt. Das kleine Buch ist sehr geeignet, das Kunstverständnis
weiter Kreise zu fördern und zu vertiefen, aber auch der Kritiker kann aus den Zeilen dieser längst ver-
storbenen Kollegen für seine Arbeit lernen." ::
Band II und III dieses Werkes erscheinen in gleichem Umfange noch in diesem Jahre.