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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
Textabb. 43. Assistenzfigur aus dem Bamberger Fenster. Nürnberg,
St. Sebald, Chor n II, za. Werkstatt Veit Hirsvogel d.Ä., 1502.
Bildung im Kreis der »Straßburger Werkstattgemein-
schaft« der Glaser Peter Hemmel, Lienhart Spitznagel,
Hans von Maursmünster, Theobald von Lixheim und
Werner Störe (um 1480 anzusetzen) ist in den Werken des
seit 1485 wieder in Nürnberg ansässigen Meisters mit
Händen zu greifen135. Die aufwendige glasmalerische
Ausführung mit den charakteristischen, trocken gestupf-
ten Halbtönen, das ornamentale und architektonische
Vokabular und nicht zuletzt der spezifische Typenkata-
log sind so eindeutig am großen Vorbild der Straßburger
Meister orientiert, daß eine Zusammenstellung des GEuv-
res dieser »älteren Werkstattrichtung« auf keine nennens-
werten Schwierigkeiten stößt. Ausgehend vom ersten,
urkundlich für Veit Hirsvogel gesicherten Werk, dem
Bamberger Fenster von 1502 im Ostchor von St. Sebald -
eine Verneinung der älteren Fensterstiftung der Bamber-
ger Bischöfe (Textabb. 43E) -, lassen sich die überwie-
gend partiellen Farbverglasungen mit Standfiguren und
Wappen in den Pfarrkirchen von Puschendorf (1490) und
Kalchreuth (1494/98) bzw. in der Nürnberger Siechko-
belkapelle St. Johannis (1493/94) sicher mit der Werkstatt
verbinden. Am Bamberger Fenster wird allerdings neben
der straßburgisch gefärbten ersten Werkstattrichtung, die
das Gesamtbild bestimmt, an einzelnen Figuren und
Köpfen bereits der künstlerische Einfluß Albrecht
Dürers sichtbar, der offenbar maßgeblich an den Entwür-
fen beteiligt war136. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Entwerfern des Dürerkreises, die im ersten Jahrzehnt
des 16. Jahrhunderts an zahllosen Verglasungsaufträgen hauptsächlich für die innerstädtischen Kirchen mitwirkten,
vermittelte den Glasmalern zeichnerische Fähigkeiten, die sie in die Lage versetzten, in den Werken mit hohem künst-
lerischen Anspruch die Handschrift der Vorlagen nahezu wörtlich auf das Glas zu übertragen. Zu den eindrucksvoll-
sten Beispielen dieses ausgeprägten Anpassungsvermögens zählen die ersten Fenster im Kreuzgang des Karmeliterklo-
sters, für die Hans Baldung Grien die Entwürfe gefertigt hatte (vgl. S. 548-550, Fig. 66-68)137. Ein Vergleich mit dem
einzigen unbezweifelten Scheibenriß Baldungs aus dessen Nürnberger Zeit, der Predigt des Hl. Vinzenz Ferrer im
Getty Museum, Los Angeles, offenbart nicht nur die gleichen zeichnerischen Eigenarten wie die frühe Scheiben-
gruppe in Großgründlach und Nürnberg-Wöhrd, einschließlich einer Abendmahlsscheibe aus dem Nürnberger
Augustinerkloster (Textabb. 45E)138. Er vermittelt uns auch eine sehr präzise Vorstellung von Größe und Sorgfalt, mit
der die Entwürfe in aller Regel durchgeführt waren und den ausführenden Glasmalern an die Hand gegeben wurden.
Die zeichnerischen Unterschiede, die etwa am Karmeliter-Zyklus von 1504-1511 auszumachen sind, dürften freilich
131 Strieder, 1993, Abb. 385—388; vgl. CVMA Deutschland 1,2, 1986,
Textabb. 32.
132 Neudörfer, 1547 (G.W.K. Lochner), S. 136. - Die betreffenden
Wandgemälde sind mit dem Abriß des Augustinerklosters 1872 zugrun-
degegangen, doch in Nachzeichnungen des Nürnberger Akademiepro-
fessors Georg Eberlein überliefert (GNM, S.P. 11409; Museen der Stadt
Nürnberg, bes. 11.723).
133 Zur Nürnberger Kabinettscheiben-Produktion der frühen Phase
grundlegend Schmitz, 1913, I, S. 102-119, 150-152; zusammenfassend
Scholz, Werkstattpraxis, 1991, S. 33-36, 191-205.
134 Zur Forschungsgeschichte ebenda, 1991, Anm. 120.
135 Über die frühe Wendung Hirsvogels nach Straßburg besteht heute
kein Zweifel mehr; vgl. grundlegend Knappe, Bamberger Fenster, 1961,
S. 5-53; Nachweise zusammengefaßt in Scholz, Werkstattpraxis, 1991,
S. 271-278, 281-188, 296-298.
136 Knappe, Bamberger Fenster, 1961, S. 67-99; Scholz, Werkstattpra-
xis, 1991, S. 61-70; zuletzt Barbara Butts, in: Kat. Ausst. Los Angeles/
Saint Louis 2000, S. 107h
137 Knappe, Baldung, 1963, S. 47-79; Scholz, Werkstattpraxis, 1991,
S. 83-108; Lee Hendrix, in: Kat. Ausst. Los Angeles/Saint Louis 2000,
S. 128-133.
138 Vgl. Knappe, London, 1962, S. 355-362.
KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
Textabb. 43. Assistenzfigur aus dem Bamberger Fenster. Nürnberg,
St. Sebald, Chor n II, za. Werkstatt Veit Hirsvogel d.Ä., 1502.
Bildung im Kreis der »Straßburger Werkstattgemein-
schaft« der Glaser Peter Hemmel, Lienhart Spitznagel,
Hans von Maursmünster, Theobald von Lixheim und
Werner Störe (um 1480 anzusetzen) ist in den Werken des
seit 1485 wieder in Nürnberg ansässigen Meisters mit
Händen zu greifen135. Die aufwendige glasmalerische
Ausführung mit den charakteristischen, trocken gestupf-
ten Halbtönen, das ornamentale und architektonische
Vokabular und nicht zuletzt der spezifische Typenkata-
log sind so eindeutig am großen Vorbild der Straßburger
Meister orientiert, daß eine Zusammenstellung des GEuv-
res dieser »älteren Werkstattrichtung« auf keine nennens-
werten Schwierigkeiten stößt. Ausgehend vom ersten,
urkundlich für Veit Hirsvogel gesicherten Werk, dem
Bamberger Fenster von 1502 im Ostchor von St. Sebald -
eine Verneinung der älteren Fensterstiftung der Bamber-
ger Bischöfe (Textabb. 43E) -, lassen sich die überwie-
gend partiellen Farbverglasungen mit Standfiguren und
Wappen in den Pfarrkirchen von Puschendorf (1490) und
Kalchreuth (1494/98) bzw. in der Nürnberger Siechko-
belkapelle St. Johannis (1493/94) sicher mit der Werkstatt
verbinden. Am Bamberger Fenster wird allerdings neben
der straßburgisch gefärbten ersten Werkstattrichtung, die
das Gesamtbild bestimmt, an einzelnen Figuren und
Köpfen bereits der künstlerische Einfluß Albrecht
Dürers sichtbar, der offenbar maßgeblich an den Entwür-
fen beteiligt war136. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Entwerfern des Dürerkreises, die im ersten Jahrzehnt
des 16. Jahrhunderts an zahllosen Verglasungsaufträgen hauptsächlich für die innerstädtischen Kirchen mitwirkten,
vermittelte den Glasmalern zeichnerische Fähigkeiten, die sie in die Lage versetzten, in den Werken mit hohem künst-
lerischen Anspruch die Handschrift der Vorlagen nahezu wörtlich auf das Glas zu übertragen. Zu den eindrucksvoll-
sten Beispielen dieses ausgeprägten Anpassungsvermögens zählen die ersten Fenster im Kreuzgang des Karmeliterklo-
sters, für die Hans Baldung Grien die Entwürfe gefertigt hatte (vgl. S. 548-550, Fig. 66-68)137. Ein Vergleich mit dem
einzigen unbezweifelten Scheibenriß Baldungs aus dessen Nürnberger Zeit, der Predigt des Hl. Vinzenz Ferrer im
Getty Museum, Los Angeles, offenbart nicht nur die gleichen zeichnerischen Eigenarten wie die frühe Scheiben-
gruppe in Großgründlach und Nürnberg-Wöhrd, einschließlich einer Abendmahlsscheibe aus dem Nürnberger
Augustinerkloster (Textabb. 45E)138. Er vermittelt uns auch eine sehr präzise Vorstellung von Größe und Sorgfalt, mit
der die Entwürfe in aller Regel durchgeführt waren und den ausführenden Glasmalern an die Hand gegeben wurden.
Die zeichnerischen Unterschiede, die etwa am Karmeliter-Zyklus von 1504-1511 auszumachen sind, dürften freilich
131 Strieder, 1993, Abb. 385—388; vgl. CVMA Deutschland 1,2, 1986,
Textabb. 32.
132 Neudörfer, 1547 (G.W.K. Lochner), S. 136. - Die betreffenden
Wandgemälde sind mit dem Abriß des Augustinerklosters 1872 zugrun-
degegangen, doch in Nachzeichnungen des Nürnberger Akademiepro-
fessors Georg Eberlein überliefert (GNM, S.P. 11409; Museen der Stadt
Nürnberg, bes. 11.723).
133 Zur Nürnberger Kabinettscheiben-Produktion der frühen Phase
grundlegend Schmitz, 1913, I, S. 102-119, 150-152; zusammenfassend
Scholz, Werkstattpraxis, 1991, S. 33-36, 191-205.
134 Zur Forschungsgeschichte ebenda, 1991, Anm. 120.
135 Über die frühe Wendung Hirsvogels nach Straßburg besteht heute
kein Zweifel mehr; vgl. grundlegend Knappe, Bamberger Fenster, 1961,
S. 5-53; Nachweise zusammengefaßt in Scholz, Werkstattpraxis, 1991,
S. 271-278, 281-188, 296-298.
136 Knappe, Bamberger Fenster, 1961, S. 67-99; Scholz, Werkstattpra-
xis, 1991, S. 61-70; zuletzt Barbara Butts, in: Kat. Ausst. Los Angeles/
Saint Louis 2000, S. 107h
137 Knappe, Baldung, 1963, S. 47-79; Scholz, Werkstattpraxis, 1991,
S. 83-108; Lee Hendrix, in: Kat. Ausst. Los Angeles/Saint Louis 2000,
S. 128-133.
138 Vgl. Knappe, London, 1962, S. 355-362.