SEGRINGEN • PFARRKIRCHE
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hundert Jahre entstand, wird im Vergleich mit den Zettlerschen Ergänzungen augenfällig. Alle alten Gläser sind auf
der Außenseite flächig angewittert; die Innenseiten zeigen beginnenden Lochfraß. Von der ursprünglichen Rücksei-
tenmalerei sind nur noch vereinzelte Verwitterungsspuren zu erkennen. Die Bemalung der Innenseite ist im Kontur
noch weitestgehend bewahrt, wenngleich partiell gelockert und von den Rändern her unterwandert (vereinzelt auch
von Zettler übermalt). Stärker gemindert ist die Halbtonmodellierung, die stellenweise in weißlichen Verwitterungs-
schichten aufgeschlossen ist. Das Bleinetz ist durchgängig von Zettler erneuert.
Rekonstruktion, Ikonographisches Programm: Welche Heiligen neben der dreiteiligen Kreuzigung in der Fen-
sterspitze und den Aposteln Petrus, Paulus, Bartholomäus, dem Kirchenpatron Vincentius, Georg und einem nicht
näher bezeichneten Bischof ursprünglich noch vorhanden waren, ist ungewiß. Daß es sich - wie in der Zettlerschen
Rekonstruktion - nur um Apostel gehandelt hat, ist mit Sicherheit auszuschließen, denn für alle zwölf wäre im Fen-
ster ohnedies kein Platz gewesen. Zudem hat sich in der linken Lanzettspitze von Chorfenster süd III noch ein stili-
stisch zugehöriges Kopffragment mit Mitra als Rest einer weiteren Bischofsfigur (oder eines Abts) erhalten, womit für
die zwölf Felder der ersten vier Zeilen des Achsenfensters ein Querschnitt durch die Gemeinschaft der Heiligen - mit
Aposteln, Bischöfen, Bekennern, Märtyrern (und Jungfrauen?) - zu rekonstruieren ist. Ob diese Versammlung
ursprünglich in den beiden zweibahnigen Fenstern der Chorsüdseite ihre Fortsetzung fand, ist nicht mehr zu klären.
Ebensogut könnte man an eine ornamentale Verglasung der Seitenfenster denken, die dem späteren Lichtbedürfnis
umso leichteren Herzens geopfert worden wäre. Setzt man, Wentzel folgend, die Kenntnis der Konstanzer Glasma-
lerei und deren schweizerische Ableger in Frauenfeld-Oberkirch oder Kappel am Albis mit ihrem spezifischen Fen-
sterschema voraus, dann käme nicht zuletzt eine Kombination figürlicher Felder in den Fensterspitzen mit darunter
ansetzenden Ornamentteppichen in Betracht - eine Möglichkeit, die dann für alle drei Chorfenster gleichermaßen
vorausgesetzt werden müßte7.
Komposition, Ornament, Farbigkeit: Alle mittelalterlichen Felder - ausgenommen die reicher gestaltete Kreuzi-
gung in der fünften Zeile - stimmen in Bildarchitektur, Farbigkeit und Musterung der Hintergründe überein: Zwi-
schen breiten weißen Randstreifen öffnet sich vor dunkelblauem Rautengrund jeweils ein gelber, krabbenbesetzter
Kielbogen mit bekrönender Kreuzblume, hinterfangen von einer purpurrosafarbenen Mauerzone, gelbem Gesims und
hellblauer Blendfensterzone. Durch fortgeschrittene Verbräunung werden die ursprünglich weißen, hellblauen, hell-
grünen und purpurnen Gläser, aber auch die dunkelblauen Rautengründe so gravierend beeinträchtigt, daß die ehe-
mals lichtere Farbwirkung heute weitgehend auf den Zusammenklang von Rot-, Gelb- und Brauntönen reduziert
erscheint; das Dunkelblau der Hintergründe ist vielfach fast opak geworden.
Technik: Als charakteristisches Merkmal der im übrigen ganz in der traditionellen Technik der Zeit ausgeführten
Segringer Scheiben sind die unsicher, fast ungeübt gesetzten, fahrigen Konturen der Köpfe und Gewänder zu nennen,
die nicht im entferntesten mit der kalligraphischen Linienkultur jener oberrheinisch-seeschwäbischen Vorbilder zu
vergleichen sind, die als Stilquelle für den vorliegenden Bestand in Anspruch genommen wurden.
Stil, Datierung: Angesichts der isolierten Stellung der Segringer Glasmalereien im schwäbisch-fränkischen Grenz-
gebiet ist die Frage nach deren künstlerischen Voraussetzungen und dem Sitz der Werkstatt nur mit großen Vorbehal-
ten zu behandeln. Symptomatisch für diese Verlegenheit ist Wentzels eher beiläufige Kennzeichnung des »Kreu-
zigungs-Apostel-Fensters« als »fränkischer Ausläufer« des um 1320 enstandenen Christuszyklus der Konstanzer
Dominikanerkirche8 bzw. der Verweis auf das kompositionelle Vorbild im Typus des Mutziger Kreuzigungsfensters9,
der sich - neben dem architektonischen Motivrepertoire - wohl auf den Gesamtentwurf des toten Gekreuzigten und
der beiden Assistenzfiguren stützen kann, in Figurenstil und Typenschatz aber keine weiteren Zusammenhänge mit
7 Zu den Farbverglasungen in Kappel am Albis und Frauenfeld-Ober-
kirch vgl. Beer, CVMA Schweiz III, 1965, S. ijff. bzw. 4iff., besonders
Taf. 1, 10, 15, 20, 23 bzw. Taf. 28; Becksmann, 1967, S. 29-33, 6of.,
86-91.
8 Wentzel, Meisterwerke, 1951, S. 36, bzw. 2i954, S. 37; zu den Resten
der ehemaligen Farbverglasung der Konstanzer Dominikanerkirche vgl.
Becksmann, CVMA Deutschland II,1, 1979, S. 132-147.
9 Wentzel (s. Bibi.), 1953, S. 174.
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hundert Jahre entstand, wird im Vergleich mit den Zettlerschen Ergänzungen augenfällig. Alle alten Gläser sind auf
der Außenseite flächig angewittert; die Innenseiten zeigen beginnenden Lochfraß. Von der ursprünglichen Rücksei-
tenmalerei sind nur noch vereinzelte Verwitterungsspuren zu erkennen. Die Bemalung der Innenseite ist im Kontur
noch weitestgehend bewahrt, wenngleich partiell gelockert und von den Rändern her unterwandert (vereinzelt auch
von Zettler übermalt). Stärker gemindert ist die Halbtonmodellierung, die stellenweise in weißlichen Verwitterungs-
schichten aufgeschlossen ist. Das Bleinetz ist durchgängig von Zettler erneuert.
Rekonstruktion, Ikonographisches Programm: Welche Heiligen neben der dreiteiligen Kreuzigung in der Fen-
sterspitze und den Aposteln Petrus, Paulus, Bartholomäus, dem Kirchenpatron Vincentius, Georg und einem nicht
näher bezeichneten Bischof ursprünglich noch vorhanden waren, ist ungewiß. Daß es sich - wie in der Zettlerschen
Rekonstruktion - nur um Apostel gehandelt hat, ist mit Sicherheit auszuschließen, denn für alle zwölf wäre im Fen-
ster ohnedies kein Platz gewesen. Zudem hat sich in der linken Lanzettspitze von Chorfenster süd III noch ein stili-
stisch zugehöriges Kopffragment mit Mitra als Rest einer weiteren Bischofsfigur (oder eines Abts) erhalten, womit für
die zwölf Felder der ersten vier Zeilen des Achsenfensters ein Querschnitt durch die Gemeinschaft der Heiligen - mit
Aposteln, Bischöfen, Bekennern, Märtyrern (und Jungfrauen?) - zu rekonstruieren ist. Ob diese Versammlung
ursprünglich in den beiden zweibahnigen Fenstern der Chorsüdseite ihre Fortsetzung fand, ist nicht mehr zu klären.
Ebensogut könnte man an eine ornamentale Verglasung der Seitenfenster denken, die dem späteren Lichtbedürfnis
umso leichteren Herzens geopfert worden wäre. Setzt man, Wentzel folgend, die Kenntnis der Konstanzer Glasma-
lerei und deren schweizerische Ableger in Frauenfeld-Oberkirch oder Kappel am Albis mit ihrem spezifischen Fen-
sterschema voraus, dann käme nicht zuletzt eine Kombination figürlicher Felder in den Fensterspitzen mit darunter
ansetzenden Ornamentteppichen in Betracht - eine Möglichkeit, die dann für alle drei Chorfenster gleichermaßen
vorausgesetzt werden müßte7.
Komposition, Ornament, Farbigkeit: Alle mittelalterlichen Felder - ausgenommen die reicher gestaltete Kreuzi-
gung in der fünften Zeile - stimmen in Bildarchitektur, Farbigkeit und Musterung der Hintergründe überein: Zwi-
schen breiten weißen Randstreifen öffnet sich vor dunkelblauem Rautengrund jeweils ein gelber, krabbenbesetzter
Kielbogen mit bekrönender Kreuzblume, hinterfangen von einer purpurrosafarbenen Mauerzone, gelbem Gesims und
hellblauer Blendfensterzone. Durch fortgeschrittene Verbräunung werden die ursprünglich weißen, hellblauen, hell-
grünen und purpurnen Gläser, aber auch die dunkelblauen Rautengründe so gravierend beeinträchtigt, daß die ehe-
mals lichtere Farbwirkung heute weitgehend auf den Zusammenklang von Rot-, Gelb- und Brauntönen reduziert
erscheint; das Dunkelblau der Hintergründe ist vielfach fast opak geworden.
Technik: Als charakteristisches Merkmal der im übrigen ganz in der traditionellen Technik der Zeit ausgeführten
Segringer Scheiben sind die unsicher, fast ungeübt gesetzten, fahrigen Konturen der Köpfe und Gewänder zu nennen,
die nicht im entferntesten mit der kalligraphischen Linienkultur jener oberrheinisch-seeschwäbischen Vorbilder zu
vergleichen sind, die als Stilquelle für den vorliegenden Bestand in Anspruch genommen wurden.
Stil, Datierung: Angesichts der isolierten Stellung der Segringer Glasmalereien im schwäbisch-fränkischen Grenz-
gebiet ist die Frage nach deren künstlerischen Voraussetzungen und dem Sitz der Werkstatt nur mit großen Vorbehal-
ten zu behandeln. Symptomatisch für diese Verlegenheit ist Wentzels eher beiläufige Kennzeichnung des »Kreu-
zigungs-Apostel-Fensters« als »fränkischer Ausläufer« des um 1320 enstandenen Christuszyklus der Konstanzer
Dominikanerkirche8 bzw. der Verweis auf das kompositionelle Vorbild im Typus des Mutziger Kreuzigungsfensters9,
der sich - neben dem architektonischen Motivrepertoire - wohl auf den Gesamtentwurf des toten Gekreuzigten und
der beiden Assistenzfiguren stützen kann, in Figurenstil und Typenschatz aber keine weiteren Zusammenhänge mit
7 Zu den Farbverglasungen in Kappel am Albis und Frauenfeld-Ober-
kirch vgl. Beer, CVMA Schweiz III, 1965, S. ijff. bzw. 4iff., besonders
Taf. 1, 10, 15, 20, 23 bzw. Taf. 28; Becksmann, 1967, S. 29-33, 6of.,
86-91.
8 Wentzel, Meisterwerke, 1951, S. 36, bzw. 2i954, S. 37; zu den Resten
der ehemaligen Farbverglasung der Konstanzer Dominikanerkirche vgl.
Becksmann, CVMA Deutschland II,1, 1979, S. 132-147.
9 Wentzel (s. Bibi.), 1953, S. 174.