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Becksmann, Rüdiger; Becksmann, Rüdiger [Oth.]
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Baden und der Pfalz: ohne Freiburg i. Br. — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 2, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1979

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52839#0067
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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG LXIII
hochgotischer Zeit die Wanderungen der Glasmaler von Großauftrag zu Großauftrag, von Zentrum zu Zentrum,
die sich in einer breiten und schnellen Verfügbarkeit von formalen, technischen und stilistischen Neuerungen
niederschlagen und das Erkennen regionaler Stilkonstanten erschweren.
Sind es die im Laufe des 14. Jh. eingegangenen zunftmäßigen Bindungen der Glasmaler, die nicht nur im Bereich
der Gliederungssysteme und des Ornaments, sondern auch der Farbigkeit und des Figurenstils trotz Erschließung
neuer Realitätsebenen einerseits zu einer gewissen Verlangsamung und Verarmung der vielschichtigen Entwicklungs-
prozesse hochgotischer Zeit führen, andererseits aber die Herausbildung örtlicher Stilkonstanten begünstigen?
Indem sich die Glasmaler der Spätgotik immer seltener mit den Höchstleistungen der Glasmalerei anderer Zentren
— die Chörleinverglasung der Besserer-Kapelle im Ulmer Münster (um 1420) sowie die weithin exportierten Farbver-
glasungen der Straßburger Werkstattgemeinschaft (um 1480) bilden hier Ausnahmen — auseinandersetzen, indem
sie sich stattdessen immer stärker an der künstlerischen Produktion ihrer Zunftgenossen orientieren, verliert die
Glasmalerei ihre einst führende Rolle in der Malerei. Gleichzeitig wandelt sich die Auffassung von der Funktion
einer Farbverglasung, entwickelt sich die von Rauten oder Butzen umgebene »partielle Farbverglasung« als eine
der spätgotischen Raumarchitektur gemäße Verglasungsform. Daneben verschwindet jedoch die geschlossene Farb-
verglasung am Oberrhein zumindest in den Chören nicht vollständig, ja sie erfährt durch die Straßburger Werkstatt-
gemeinschaft gegen Ende des 15. Jh. sogar eine überraschende Wiederbelebung — ein Vorgang, über den sich
auch im Hinblick auf Raumlicht und Raumwirkung nachzudenken lohnte. Bisher ebensowenig erforscht sind
die Wandlungen, die sich für das Erscheinungsbild der Glasgemälde aus der Anlehnung an die graphischen Techniken
des Holzschnitts und des Kupferstichs ergeben, sowie die Vorgänge, die im dritten Viertel des 15. Jh. vor allem
in Straßburg zu einer Rückbesinnung auf die einzigartigen Möglichkeiten der Glasmalerei führen, mit Hilfe einer
verfeinerten Überzugs-, Radier- und Stupftechnik Lichter zu setzen und mit diesen wiederum Körper zu modellieren
und Stofflichkeit zu vermitteln. Die mit diesen technischen Verfeinerungen einhergehende Arbeitsteilung erschwert
allerdings die Erkennbarkeit von Künstlerindividualitäten im Spätmittelalter zusehends. In Anbetracht der Vielzahl
von graphologisch zu unterscheidenden Handschriften wird man in solchen Fällen versuchen müssen, die bereits
im Entwurf vorgegebenen künstlerischen Besonderheiten im Bildaufbau wie in der Figurenauffassung zu erkennen.
Daß solche Bemühungen nicht müßiger Selbstzweck einer falsch verstandenen Stilkritik sind, sondern grundlegende
Aufschlüsse über den spätmittelalterlichen Werkstattbetrieb ermöglichen, zeigt die sich immer mehr differenzierende
Kenntnis der Organisation/und Arbeitsweise der Straßburger Werkstattgemeinschaft.
 
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