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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0235
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OBER-INGELHEIM • BURGKIRCHE


Fig. 160. Ober-Ingelheim, Burgkirche, Chor I (Zustand 1961).
Mittelrhein (Mainz?), um 1404.

pass mit der Vera Icon (3BC0) über einem Paar geflügel-
ter Mischwesen in den seitlichen Zwickeln (2A+D) steht
(Fig. 160, Abb. 90-92).
Obwohl der Hochaltar mit seinem Patrozinium »Unser
Lieben Frau« der Gottesmutter geweiht war49, ist die
Zusammenstellung der über ihm im Achsenfenster be-
findlichen, auf Maria bezogenen Szenen ungewöhnlich
- insofern, als diese Szenen für sich keine »Erzählung«
bilden. Man hat deshalb angenommen, dass in den Seiten-
fenstern nord II und süd II weitere großformatige Szenen
aus dem Leben Mariä und Christi zu sehen waren, die
sich mit den Darstellungen in der Achse zu einem Zy-
klus verbunden hätten50. Doch für eine derartige, einer-
seits auf wenige Darstellungen reduzierte, andererseits
auf mehrere Fenster ausgedehnte, einem Flügelretabel
also nicht unähnliche Bildabfolge gibt es um 1400 keine
Vergleichsbeispiele51. Das Fenster ist vielmehr formal
und inhaltlich als Einheit anzusehen, was sich wie folgt
begründen lässt:
Im unteren Geschoss unter zwei Kielbogenarkaden, im
oberen Geschoss unter einem zentralen Kielbogen zu-
sammengefasst, sind die Darstellungen der Anbetung der
Könige und der Krönung/Inthronisation Mariä mittels
identischer architektonischer Rahmenmotive miteinander
verbunden. Zugleich sind die Mittelbahnen b/c gegenüber
den Außenbahnen a+d unten wie oben als eigene Raum-
einheiten so deutlich akzentuiert, dass die in lAb und
4/^b in annähernd gleicher, d.h. parallelisierter Haltung
erscheinende Figur der jeweils thronenden, gekrönten
Maria als Hauptfigur zu erkennen ist. Inhaltlich liegt das
Gewicht folglich nicht auf dem Aspekt der Erzählung des
Lebens Mariä, sondern auf dem repräsentativen Charak-
ter der Darstellungen im Hinblick auf die Verherrlichung
der Jungfrau und Gottesmutter - eine Bedeutung, die der
Anbetung der Könige traditionellerweise, etwa als Haupt-
bild an Kirchenportalen, ebenso zukommen konnte, wie
sie für die Krönung/Inthronisation Mariä selbstredend
von vornherein gegeben war; in direkter Nachbarschaft
(und um ein Jüngstes Gericht erweitert) wurden sie wohl
erstmals um 1200 in den Portaltympana der Westfassade
der Kathedrale Notre-Dame in Laon dargestellt52. Der
Gedanke, beide Szenen in einem Fenster zu vereinen, war
49 Zu den Altarpatrozinien s. Diehl 1932, S. 341.
50 Rauch 1934,8. 516, 518. Die dort vorgeschlagene Lokalisierung der
figürlichen Reste im Lhs.-Fenster s IV in den Chor ist aber sowohl aus
historischen als auch aus stilistischen Gründen abzulehnen; s. hierzu
bereits Anm. 36.
51 Obwohl es durchaus die Option gab, Bildzyklen fensterübergrei-
fend zu gestalten - s. z.B. die rekonstruierten Chorverglasungen von
Saulgau (um 1402) und Ravensburg (um 1419); Becksmann 1986,
S. 19 5 f. bzw. S. 164k -, so wurden doch auch solche Zyklen aus in sich
 
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