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Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet: Hessen und Rheinhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,2: Berlin: Dt. Verl. für Kunstwiss., 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52864#0176
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FRIEDBERG • LIEBFRAUENKIRCHE

V1
die Vollendung der Ostteile - Chor und Querhaus (Fig. 106) - verbunden, was sich durch die Abhängigkeit der Bau-
formen von Mainzer Bauten zwischen 1270 und 1300 untermauern läßt1. Der Weiterbau verlief schleppend; der
Grund hierfür kann in der Abspaltung der Burgkirche von der Stadtkirche im Jahr 1308 und dem wohl damit verbun-
denen Verlust der Pfründen der Burgmannschaft gesucht werden. Während die ersten beiden Langhausjoche zeitlich
um 1310/40 angesetzt werden, wobei die Lagerfugen der Pfeiler im Unterschied zu den Ostteilen regelmäßig verlau-
fen, dürften die westlichen drei Joche mit ihren achteckigen Pfeilern erst gegen 1370 vollendet gewesen sein. Da die
letzten beiden Pfeiler ursprünglich geplante Turmbauten tragen sollten, wurden sie außergewöhnlich stark angelegt;
ihr Ausbau unterblieb jedoch zugunsten eines vor die Westwand gesetzten Turmpaares2. Auch der Ausbau dieser
Türme konnte nicht vollendet werden, da die Burg Friedberg 1403 zum ersten Mal Klage erhob, daß die »vor mehr als
zwanzig Jahren« begonnen Türme als Wehrbauten der Stadt gegen die Burg mißbraucht werden könnten. Nach weite-
ren Auseinandersetzungen wurde durch einen Schiedsspruch König Ruprechts im Jahr 1410 der weitere Ausbau der
Türme schließlich verboten.
Aus bislang noch ungeklärten Gründen nahm man ab 1476 eine Neuausstattung des Chores in Angriff, ausgerechnet
zum Zeitpunkt des allgemeinen wirtschaftlichen Niedergangs der Stadt; die Neuweihe erfolgte im Jahr 1482. Nach
Reparaturen in den Jahren 1503 und 1604 wurde 1671/72 das Sakristeidach erhöht3, das fortan die nördlichen Chor-
fenster teilweise verdeckte; der Merianstich von 1646 (Textabb.i) zeigt es noch in seinem alten Zustand. 1756 wurde
ferner die Orgel von der Nordwand vor das Westfenster verlegt. Nachdem sich auf Grund ungenügender Fundamentie-
rung bereits im 18. Jahrhundert schwere Schäden im Chorbereich gezeigt hatten, versuchte man den Chor 1824 statisch
zu sichern, indem man die seitlichen Chorfenster vermauerte (Fig. mf.), den Dachstuhl erneuerte und die Gewölbe
mit Zugankern sicherte. Bei der Renovierung von 1844/47 wurden die Chorwände und Strebepfeiler verstärkt, ferner
erfuhr das Langhaus eine neugotische Umgestaltung. Als sich auch diese Maßnahmen als unzureichend erwiesen, trug
man 1896 das Chorpolygon und die Querschiffmauern ab und führte sie nach der Sicherung der Fundamente dem
mittelalterlichen Zustand entsprechend und unter Verwendung der alten Steine wieder auf. Im Anschluß daran
erfolgte eine nüchterne Neugestaltung des Langhauses, bei der das Querhaus und die Langhausfenster Glasmalereien
von Alexander Linnemann erhielten. Anläßlich der Innenrenovierung von 1958 wurde schließlich die mittelalterliche
Raumfassung wiederhergestellt.
Geschichte der Verglasung: Die Verglasung der 1306 vollendeten Ostteile setzte frühestens um 1318/20 ein. Den
Auftakt machte wohl eine Fensterstiftung der Ritter von Buches (s. dazu S. 188), die zwischen 1318/20 kurzfristig das
Patronatsrecht über die Liebfrauenkirche erhalten hatten. Für eine zügige weitere Ausstattung fehlte aber offenbar das
Geld, da sich die Verglasung der Ostteile bis gegen 1350 hinzog. Erst zu diesem Zeitpunkt, beziehungsweise wenig
später entstand auch das 1878 nach Darmstadt veräußerte Hochaltarretabel4. Von dieser ersten Verglasung sind nur-
mehr wenige Ornamentfelder erhalten, weitere Reste sind durch Photos von 1896 überliefert (Fig. 123-129). Die nur
noch in Rudimenten faßbare Verglasung des Langhauses erfolgte offenbar mit fortschreitendem Bauverlauf und fand
wohl gegen 1440/50 mit dem Westfenster ihren Abschluß. Etwa zur gleichen Zeit, im Jahr 1438, erhielt ein Maler 10
Gulden für ein nicht näher genanntes Fenster (s. Reg. Nr. 26). So gerne man diese Quelle auf das Westfenster beziehen
würde, kann es sich auf Grund des geringen Betrags nur um ein kleines Fenster oder um eine Reparatur gehandelt
haben. Gleichwohl spricht einiges dafür, daß die Engel im Friedberger Museum (Abb. 170f., 175 f.) ursprünglich im
Westfenster saßen.
Über die letzte Kampagne - die ab 1476 einsetzende Neuverglasung der Chorapsidenfenster - geben die in ihrer Aus-
führlichkeit einzigartigen Friedberger Quellen detailliert Auskunft, wobei die bisherige Interpretation durch Her-
mann Roth korrigiert werden muß. So beziehen sich die in die Pfarr-Rechnungen von 1473-1475 eingestreuten Ein-

1 Vgl. neben der grundlegenden Baumonographie von Hartmut Steti-
ger, Die Stadtkirche in Friedberg in Hessen. Ein Beitrag zur Geschichte
der gotischen Baukunst in Hessen und am Mittelrhein, in: AhGA NF 27,
1962/67, S. 1-118, auch Dengel-Wink, 1990, S. 164!., 186-190.
2 Vgl. Ernst Götz, Stadtkirche Friedberg (Große Baudenkmäler 203),
München/Berlin 3i984, S. 4.

3 Überliefert in einer Chronik von 1763; vgl. Christian Waas, Die
Chroniken von Friedberg in der Wetterau II, 1940, S. 247.
4 Vgl. hierzu neuerdings Gast, 1998, der das Retabel zwischen 1346 und
1375/76 datiert.
 
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