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EHEMALS UELZEN • LEPROSENKAPELLE
Figuren (vornehmlich n II, 3a und b) sind die Schraffuren in den Schattenlagen dichter aufgetragen und zudem stärker
mit trocken gestupften Halbtonlasuren hinterlegt, sodass deren Plastizität unterstrichen wird. Darüber hinaus ist im
Fenster nord II die äußerst aufwendige Ausführung der Stifterscheibe hervorzuheben (Fig. 394). Für die großzügige
Kreuzschraffur, die das Gewand des Propstes Rupertus gleich einem Netz überzieht und vermutlich die Textur des
Stoffs wiedergeben sollte, finden sich keine Parallelen in den restlichen Scheiben des Uelzener Bestandes (Fig. 401)48.
Doch abgesehen von unterschiedlichen technischen Spielarten bzw. individuellen Glasmaler-Handschriften ver-
bindet diese Scheibengruppe ein gemeinsames ornamentales und architektonisches Formenvokabular, während die
obengenannten Differenzen auch den unterschiedlichen Bildvorlagen geschuldet sein dürften. Denn alle hier be-
handelten Scheiben schöpfen aus einem Formenschatz, der im ausgehenden 14. Jahrhundert von Paris, Bourges oder
Brügge bis Prag seine volle Blüte erlebte, in der Uelzener Verglasung von 1412 hingegen bestenfalls als »retrospektiv«
betrachtet werden kann. Ob die in Uelzen beteiligten Glasmaler unmittelbar auf burgundische oder franko-flä-
mische Vorbilder zurückgreifen konnten oder lokale Inspirationsquellen besaßen, kann heute nicht mehr entschie-
den werden. Jedenfalls sind an ihr die höfische Eleganz der feingliedrigen, nahezu zerbrechlichen Figuren sowie
der Sinn für die herabfließenden, scheinbar gewichtslosen Gewänder des Conrad von Soest und seiner Nachfolge
fast spurlos vorübergegangen. Immerhin war jene Spätblüte des Internationalen Stils im gesamten norddeutschen
Raum von erstaunlicher Langlebigkeit und bestimmte nicht nur die Tafel- und Glasmalerei, sondern auch die Plastik
bis in die Vierzigerjahre des 15. Jahrhunderts hinein (Fig. 29, 39z)49. Die immer wieder auftretenden Überschnei-
dungen im Formenschatz mit der Lüneburger Glasmalereiproduktion sprechen indessen für einen engen Austausch
Fig. 396. Der Hl. Franziskus trägt den aussätzigen Christus auf dem Rücken.
Uelzen, Heiligen-Geist-Kapelle, Chor süd III, 2b. Lüneburg, um 1412. - Kat. S. 402.
EHEMALS UELZEN • LEPROSENKAPELLE
Figuren (vornehmlich n II, 3a und b) sind die Schraffuren in den Schattenlagen dichter aufgetragen und zudem stärker
mit trocken gestupften Halbtonlasuren hinterlegt, sodass deren Plastizität unterstrichen wird. Darüber hinaus ist im
Fenster nord II die äußerst aufwendige Ausführung der Stifterscheibe hervorzuheben (Fig. 394). Für die großzügige
Kreuzschraffur, die das Gewand des Propstes Rupertus gleich einem Netz überzieht und vermutlich die Textur des
Stoffs wiedergeben sollte, finden sich keine Parallelen in den restlichen Scheiben des Uelzener Bestandes (Fig. 401)48.
Doch abgesehen von unterschiedlichen technischen Spielarten bzw. individuellen Glasmaler-Handschriften ver-
bindet diese Scheibengruppe ein gemeinsames ornamentales und architektonisches Formenvokabular, während die
obengenannten Differenzen auch den unterschiedlichen Bildvorlagen geschuldet sein dürften. Denn alle hier be-
handelten Scheiben schöpfen aus einem Formenschatz, der im ausgehenden 14. Jahrhundert von Paris, Bourges oder
Brügge bis Prag seine volle Blüte erlebte, in der Uelzener Verglasung von 1412 hingegen bestenfalls als »retrospektiv«
betrachtet werden kann. Ob die in Uelzen beteiligten Glasmaler unmittelbar auf burgundische oder franko-flä-
mische Vorbilder zurückgreifen konnten oder lokale Inspirationsquellen besaßen, kann heute nicht mehr entschie-
den werden. Jedenfalls sind an ihr die höfische Eleganz der feingliedrigen, nahezu zerbrechlichen Figuren sowie
der Sinn für die herabfließenden, scheinbar gewichtslosen Gewänder des Conrad von Soest und seiner Nachfolge
fast spurlos vorübergegangen. Immerhin war jene Spätblüte des Internationalen Stils im gesamten norddeutschen
Raum von erstaunlicher Langlebigkeit und bestimmte nicht nur die Tafel- und Glasmalerei, sondern auch die Plastik
bis in die Vierzigerjahre des 15. Jahrhunderts hinein (Fig. 29, 39z)49. Die immer wieder auftretenden Überschnei-
dungen im Formenschatz mit der Lüneburger Glasmalereiproduktion sprechen indessen für einen engen Austausch
Fig. 396. Der Hl. Franziskus trägt den aussätzigen Christus auf dem Rücken.
Uelzen, Heiligen-Geist-Kapelle, Chor süd III, 2b. Lüneburg, um 1412. - Kat. S. 402.