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Neuntes Kapitel: Rückblick

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System der Hochgotik. Alle diese Elemente hat die romanische Kunst
bereits gekannt, auch das konstruktive Grundprinzip der Gotik, die
Trennung der struktiven und der raumabschliessenden Teile des Baues
war ihr nicht fremd und da und dort schon mit grösserer oder geringerer
Konsequenz durchgeführt worden. Die Grossthat der Meister, welche das
gotische System ins Leben gerufen haben, ist nicht die Erfindung der
Elemente, sondern deren Zusammenfassung zu einem konsequenten
System. Die geschichtliche Betrachtung hat gezeigt, dass dieses System
nicht mit einemmal fertig ans Licht getreten, sondern dass es das
Ergebnis längerer Versuche ist. Wir haben es hier nicht mehr mit
dem werdenden, sondern mit dem fertigen System zu thuri.

Das System der Früh- und Hochgotik. Die Kombination
des Rippengewölbes mit dem Spitzbogen und die Einführung des
Schlusssteines in den Scheitel der Gewölbe, welche es möglich machte,
eine grössere oder geringere Zahl von Rippen in einem Punkte zu-
sammentreffen zu lassen, gestattete, das Rippengewölbe jedem Gruncl-
riss anzupassen. Das Gewölbe war nun in eine der Seitenzahl des
Grundrisses entsprechende Zahl von Kappen geteilt, welche einerseits
zwischen die Rippen, anderseits zwischen die das Joch begrenzenden
Gurt- und Schildbögen gespannt waren. Die Fusspunkte der Bögen
fallen in die Eckpunkte der Joche; hier treffen drei oder fünf Bögen
in einem Punkte zusammen (Taf. 373). Die Last des Gewölbes wird
so auf einzelne Punkte konzentriert. Ihr Druck, der in schiefer
Richtung gegen den Kämpfer anfällt, wird indes nicht ganz auf die
Stütze übertragen, sondern in eine senkrechte und eine wagerechte
Komponente zerlegt, von welchen die erste ihre Ableitung im Pfeiler,
die zweite im Strebebogen findet.

Mit der Einführung des Rippengewölbes war schon im romanischen
Stil eine entsprechende Gliederung der Pfeiler Hand in Hand gegangen,
jedem auf den Pfeiler treffenden Bogen entsprach ein Vorsprung (für
das Einzelne vgl. I S. 692 und die Tafeln zu Kap. 8—14). Die
Aenderungen, welche die Gotik an dem Pfeiler vornahm, sind nicht
prinzipieller, sondern formaler Natur. Der an der Hochwand auf-
steigende Pfeiler wird in eine der Anzahl der aufruhenden Bögen ent-
sprechende Zahl von Stützen, Dienste, aufgelöst. Die Frühzeit liebte
es, diese als getrennte, freistehende und nur in gewissen Zwischen-
räumen durch einbindende Steine (Ringe) mit der Mauer verbundene
Säulchen zu gestalten (Taf. 598, 1). Die Kämpfer der Rippen und
Gurtbögen liegen in gleicher, die der Schildbögen in grösserer Höhe.
 
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