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Denkmalpflege: Auszug aus d. stenograph. Berichten d. Tages für Denkmalpflege 1900 - 1912 — 1.1910

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II. Grundsätze für die Wiederherstellung der Baudenkmäler (Stilfragen)
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Düsseldorf 1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.29654#0076
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Grundsätze für die Wiederherstellung- der Baudenkmäler.

das praktische Bedürfnis. Der Dom will ja nicht erhalten werden als Denk-
mal an sich selbst, sondern auch als ein Bauwerk, das praktischen Zwecken
dient; entgegen den Bedürfnissen des Mittelalters, wo ein freier Platz an
dieser Stelle nicht vorhanden war, verlangt, nachdem ein solcher freier Platz
geschaffen worden ist, neben dem ästhetischen auch das praktische Bedürfnis,
daß in der Front ein Portal sich befinde. Infolgedessen nahm man von einem
Plane Abstand, das Fenster nach unten zu führen, und entschloß sich viel-
mehr, an dieser Stelle ein größeres Portal anzulegen. Es ist ja richtig, daß
die Aufgabe Schwierigkeiten hat, aber ich glaube doch, daß es als ein
Armutszeugnis für die Gegenwart hätte angesehen werden müssen, wenn
man vor der Aufgabe zurückgeschreckt wäre und gesagt hätte: das können
wir nicht. Ich bin der Meinung gewesen, daß man kein Recht hatte, vor
den Schwierigkeiten der Aufgabe zurückzuschrecken, sondern alle Mittel
aufzubieten und alle Kräfte daranzusetzen hatte, die Aufgabe so zu lösen,
wie es nach dem heutigen Stande der Erfahrungen möglich ist.
Das waren im wesentlichen die Sätze, die ich im vorigen Jahre in
Freiburg vorgetragen habe.
Hofrat Cornelius Gurlitt-Dresden: Meine geehrten Herren! Die
heutige Aussprache erfolgt auf Grund einer kurzen Bemerkung, die ich am
Schlüsse der letzten Versammlung in Freiburg machte. Die Tornowschen
Ausführungen haben dort den Abschluß der ganzen Verhandlungen gebildet;
die Zeit war vorgeschritten. Infolgedessen konnte dort nicht mehr auf
die Sache eingegangen werden. Ich würde es für unsere ganzen Beratungen
für außerordentlich bedenklich halten, wenn wir hier unsere Aufgabe darin
sehen wollten, die Werke einzelner Mitglieder zu kritisieren. Das würde sehr
bald den Zusammenhalt in unserem Kreise zerstören, und ich wünsche daher
soviel als möglich, schon aus dem persönlichen Grunde der herzlichen Verehrung
für Herrn Tornow selbst, daß meine Worte nicht ausgelegt werden wie ein
Angriff auf Herrn Tornow. Ich möchte mich deshalb auf die prinzipielle
Seite beschränken.
Die prinzipiellen Fragen, die hier vorliegen, haben mich wieder einmal
gelehrt, daß eben mit der Aufstellung von Grundsätzen, die für alle etwa
möglichen Fälle der Restaurierung eine Bedeutung haben sollen, es sehr bedenk-
lich steht; daß solche Grundsätze wohl nie gefunden werden, in denen man
mit voller Sicherheit Rat für alle Vorgänge und Vorkommnisse finden wird.
Hier liegt ein Fall vor, in dem Herr Baurat Tornow seine eigenen, erst vor
zwei Jahren aufgestellten Grundsätze korrigierte. Er entwickelte vor uns
diese Frage, weil er im Jahre nach der Aufstellung seiner Grundsätze selbst
in Konflikt mit ihnen geraten war. Der Konflikt ergab sich daraus, daß sein
Bestreben und das Bestreben sehr vieler unserer Kollegen darauf hinaus-
geht, ein historisches Bauwmrk tunlichst wieder in dem Geiste auszubauen
und in die Formen zu versetzen, die der ursprüngliche Meister gehabt hat.
Der Konflikt ergab sich weiter daraus, daß andere Jahrhunderte diesen
Grundsatz nicht gehabt haben, sondern jederzeit von dem Gedanken aus-
gegangen sind, daß ihre eigene Zeit und die Individualität ihrer eigenen
Künstler das AMrrecht vor der Vergangenheit haben, und daß sie mit einer
von uns oft bewunderten und oft auch verabscheuten Rücksichtslosigkeit
ihren Geschmack in den Vordergrund stellten.
 
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