Die Stilfrage bei Wiederherstellung alter Baulichkeiten.
93
Trier 1909
Die Stilfrage bei Wiederherstellung alter Baulichkeiten
Referent: Professor G. Weber-Danzig:
Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Baurat Gr ahn er im
vorigen Jahre von dieser Stelle aus den Standpunkt der Modernen bei
Wiederherstellung historischer Bauwerke so warm und lebhaft vertreten hat,
sei es heute einem Architekten, der zur sogenannten historischen Schule ge-
hört, gestattet, die Gesichtspunkte geltend zu machen, welche sie veranlassen,
bei 'Wiederherstellungen die Formensprache der historischen Stile zu ver-
wenden, und die Forderungen der modernen für sich persönlich abzulehnen.
Hoffentlich gelingt es mir, dabei den polemischen Ton, den Herr Gr ab ne r
im vorigen Jahre angenommen hat, zu vermeiden. Ich glaube, er dient der
Sache nicht, und da ich ein in weitesten Kreisen unbekannter Mann bin,
brauche ich mich ja auch von den Ausführungen des Herrn Gr ahn er und
seiner Schilderung dieser schwarzen »Gotiker“, die er da beliebte, nicht
getroffen zu fühlen und kann infolgedessen sine ira et Studio sprechen.
Ich glaube auch prinzipiell nicht, daß hier der geeignete Platz ist, um
Streitfragen zwischen uns Architekten auszufechten. Wir sprechen hier
vor einem Publikum, das doch zum guten Teil der Architektur gegenüber
Laie ist, und die Aufgabe des Architekten kann es hier nur sein, des
Modernen sowohl wie desjenigen, der auf dem Standpunkt der historischen
Baukunst steht — seine Aufgabe kann es immer nur sein, zu referieren, Ihnen
gegenüber seine Anschauungen möglichst objektiv darzulegen, und das will
ich versuchen.
Ehe ich nun zu dem eigentlichen Thema komme, möchte ich Herrn
Gräbners Ausführungen ergänzend, einige Bemerkungen zur Geschichte der
Denkmalpflege machen.
Herr Gräbner hat im vorigen Jahre es so dargestellt, als ob eine
geordnete Denkmalpflege erst seit dein Jahre 1901, seit dem ersten Denk-
malpflegetage vorhanden, respektive angestrebt sei, und er hat ausdrücklich
ausgeführt, diese Denkmalpflegetage wären eigentlich gegen die sogenannten
»Gotiker“ geschaffen worden; ich zitiere »Gotiker“ immer in Anführungs-
strichen, so, wie er es gemeint hat. Er hat es so dargestellt, als ob die
Restaurationswut dieser »Gotiker“ es nötig gemacht hätte, eine Bewegung
zum Schutze der Denkmäler zu gründen. Historisch stimmt das nun nicht.
In Wahrheit geht die Bewegung zum Schutze der deutschen Kunstdenk-
mäler gerade von jenen »Gotikern“ aus. Als der Hellenismus Schinkels
und seiner Zeitgenossen die Gefahr mit sich brachte, daß durch die Ver-
achtung gegenüber dem historischen einheimischen Stil ungeheure Werte an
überlieferten Baudenkmälern verloren gingen, da waren es in erster Linie
die Leute, die sich mit unserer heimischen mittelalterlichen Baukunst be-
schäftigt hatten, die öffentlich den Ruf erhoben nach Schutz dieser Denk-
mäler gegenüber diesem Hellenismus, und von Anfang an umfaßte man die
Denkmäler sämtlicher deutschen Stilepochen, wenn man davon sprach, daß
die deutschen Denkmäler geschützt werden müßten. Selbstverständlich und
mit vollem Recht, meiner Ansicht nach, hat man in erster Linie die mittel-
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Trier 1909
Die Stilfrage bei Wiederherstellung alter Baulichkeiten
Referent: Professor G. Weber-Danzig:
Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Baurat Gr ahn er im
vorigen Jahre von dieser Stelle aus den Standpunkt der Modernen bei
Wiederherstellung historischer Bauwerke so warm und lebhaft vertreten hat,
sei es heute einem Architekten, der zur sogenannten historischen Schule ge-
hört, gestattet, die Gesichtspunkte geltend zu machen, welche sie veranlassen,
bei 'Wiederherstellungen die Formensprache der historischen Stile zu ver-
wenden, und die Forderungen der modernen für sich persönlich abzulehnen.
Hoffentlich gelingt es mir, dabei den polemischen Ton, den Herr Gr ab ne r
im vorigen Jahre angenommen hat, zu vermeiden. Ich glaube, er dient der
Sache nicht, und da ich ein in weitesten Kreisen unbekannter Mann bin,
brauche ich mich ja auch von den Ausführungen des Herrn Gr ahn er und
seiner Schilderung dieser schwarzen »Gotiker“, die er da beliebte, nicht
getroffen zu fühlen und kann infolgedessen sine ira et Studio sprechen.
Ich glaube auch prinzipiell nicht, daß hier der geeignete Platz ist, um
Streitfragen zwischen uns Architekten auszufechten. Wir sprechen hier
vor einem Publikum, das doch zum guten Teil der Architektur gegenüber
Laie ist, und die Aufgabe des Architekten kann es hier nur sein, des
Modernen sowohl wie desjenigen, der auf dem Standpunkt der historischen
Baukunst steht — seine Aufgabe kann es immer nur sein, zu referieren, Ihnen
gegenüber seine Anschauungen möglichst objektiv darzulegen, und das will
ich versuchen.
Ehe ich nun zu dem eigentlichen Thema komme, möchte ich Herrn
Gräbners Ausführungen ergänzend, einige Bemerkungen zur Geschichte der
Denkmalpflege machen.
Herr Gräbner hat im vorigen Jahre es so dargestellt, als ob eine
geordnete Denkmalpflege erst seit dein Jahre 1901, seit dem ersten Denk-
malpflegetage vorhanden, respektive angestrebt sei, und er hat ausdrücklich
ausgeführt, diese Denkmalpflegetage wären eigentlich gegen die sogenannten
»Gotiker“ geschaffen worden; ich zitiere »Gotiker“ immer in Anführungs-
strichen, so, wie er es gemeint hat. Er hat es so dargestellt, als ob die
Restaurationswut dieser »Gotiker“ es nötig gemacht hätte, eine Bewegung
zum Schutze der Denkmäler zu gründen. Historisch stimmt das nun nicht.
In Wahrheit geht die Bewegung zum Schutze der deutschen Kunstdenk-
mäler gerade von jenen »Gotikern“ aus. Als der Hellenismus Schinkels
und seiner Zeitgenossen die Gefahr mit sich brachte, daß durch die Ver-
achtung gegenüber dem historischen einheimischen Stil ungeheure Werte an
überlieferten Baudenkmälern verloren gingen, da waren es in erster Linie
die Leute, die sich mit unserer heimischen mittelalterlichen Baukunst be-
schäftigt hatten, die öffentlich den Ruf erhoben nach Schutz dieser Denk-
mäler gegenüber diesem Hellenismus, und von Anfang an umfaßte man die
Denkmäler sämtlicher deutschen Stilepochen, wenn man davon sprach, daß
die deutschen Denkmäler geschützt werden müßten. Selbstverständlich und
mit vollem Recht, meiner Ansicht nach, hat man in erster Linie die mittel-