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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 17.1996

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Suckow, Michael: Zeitstrukturelle Dimensionen des Design
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https://doi.org/10.11588/diglit.31841#0207

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Michael Suckow

Zeitstrukturelle Dimensionen
des Design

Erste Szene:

Objektfetischisten und Prozeßbewegte

Gestern hat hier an dieser Stelle Harald
Hullmann von der Hochschule der Künste Saar
in Saarbrücken demonstrativ ausgerufen: lch
bin ein gegenstandsfixierter Gestalter 1/1/
Die Polemik zielte auf eine Passage im Text
der Einladung zu diesem Kolloquium, in der
statt einer „gestaltbetonten Gegenstands-
fixierung" eine „gebrauchsorientierte, auf
Langlebigkeit im Sinne nachhaltigen Wirt-
schaftens" gerichtete Gestaltungshaltung
gefordert wird. Diese Formulierungen erin-
nern ihn unliebsam an Ulmer oder Dieter
Ramssche angeblich kanonische Äußerun-
gen./2/ Er nennt das „Designideologie" und
verwahrt sich gegen jeden Versuch, ihm vor-
schreiben zu wollen, wie er zu gestalten habe.
Als ein abschreckendes Beispiel ideologisch
bestimmten Designs führt Hullmann die von
Dieter Rams und anderen gestaltete Reihe
von Rasierapparaten der Firma BRAUN an.
Nun kann ich mir lebhaft vorstellen, daß ein
Kunstflug-Rasierer ganz-ganz anders ausse-
hen würde! Nach dem Muster des Kunstflug-
Redesigns des Billschen HfG-Hockers oder
nach der allgemeinen postmodernen Metho-
de, ein Gebrauchsproblem nicht zu lösen,
sondern es ironisch vorzuführen/3/, vielleicht
so: Einem handschmeichlerischen BRAUN-
Rasierer von 1959 wird ein pieksender Pelz
aus Dreitagebartstoppeln übergezogen.

Das wäre sehr lustig - und ich würde mir dann
gerne die jeweils neuesten Kreationen auf
der Kunstflug homepage anschauen und
mich über Ironisches und Geistreiches freu-
en. Kaufen würde ich einen solchen Rasierer
allerdings nicht - übrigens auch keinen von
BRAUN. Ist mir zu teuer, ich bin Naßrasierer.
Aber ich fände das wirklich okay, wenn es all
diese verschiedenen Geräte gäbe. Ich würde
mich auch über Autos freuen, die irgendwie
einem Uterus ähneln - wenigstens innen,

denn außen müssen sie ja aus ökologischen
Gründen (cw-Wert!) phallisch aussehen.

Trotz allem aber ist es mir unerklärlich, war-
um Leute wie Rams heutzutage soviel Schimp-
fe abkriegen. Seine Designs dürfen in einer
multi-pluralistischen Warenwelt keineswegs
fehlen. Und das sie visuell langweilig wären,
ist wohl mehr eine Geschmacksfrage. Es gibt
ja nicht nur Menschen, deren Libido positiv
auf swatch-Uhren und Philippe-Starck-
Gadgets reagiert, sondern auch die anderen,
die BRAUN-Design sammeln, einschlägige
Fanzines herausgeben und denen ein kleines
Malheur passieren kann, wenn sie unverhofft
an ein echtes T 52 von 1961 oder ein TGF 2/
cylindric von 1968 herankommen. Eines ist
also sicher: Auch Dieter Rams ist ein gegen-
standsfixierter Gestalter! Wo also liegt das
Problem?

Der anderen Fraktion ist es völlig schnuppe,
in welcher Verhüllung ein Rasierer oder eine
Kaffeemaschine daherkommen. Die Zunft der
prozeßplanenden Professionen, zu der bis-
lang unter anderen Generäle, Minister,
Arbeitswissenschaftler, Animateure, Techno-
logen, Logistiker, Therapeuten, Tayloristen,
Komponisten, Librettisten, Szenaristen,
Dompteure, Choreographen...usw. usf. ge-
hörten, hat ein neues Mitglied bekommen:
den Prozeßdesigner, der inzwischen sogar
professorabel geworden ist. Der prozeß-
bewegte Designer offenbart überraschender-
weise dieselbe Gestaltungsauffassung wie der
objektfixierte: Design ist Styling nach Stil-
oder Life style-Prämissen. Damit möchte er
aber nichtszu tun haben! Der Prozeßdesigner
leidet an einer schweren Objekt-Phobie. Er
läßt nichts als den reinen Prozeß an sich her-
an. Interessant scheint die Frage, ob es auch
im Prozeßdesign Rams'e und Kunstflieger, will
sagen Funktionalisten (Tayloristen?) und Sty-
listen (Animateure?) gibt! Ist Prozeßdesign
Planungsmethodik oder Aktionskunst?

Zweite Szene:

Etwas ist im Gange!

Wo ich gehe und stehe - ich ecke an... Ge-
genstände! Ungeachtet dessen, die allge-
meine Tendenz ist: Die Gegenstände ver-
schwinden! Sie lösen sich auf, werden unsicht-

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