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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 17.1996

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Luckner, Peter: Gestaltungsfall Geiseltal - ein Prozeßbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.31841#0106

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Was „enthält" daß Geiseltal?

- Landschaft im heimatlichen Kontext,

bekannt durch Fossilienfunde (Erd-
zeitalter Geiseltalium) und durch
hochwertige Braunkohlenvor-
kommen;

- Erdbewegungen zur Stabilisierung einer

Grubenlandschaft mit bis zu 100m
Tiefe; monumentales Tagebaurest-
loch 2000ha groß d.h. ca. 3,5 x 8km
Berg und Tal mit Teichen, jungem
Gehölz, Orchideen, gefährlichen
Schwemmgebieten, abgestellter
Bergbautechnik (z.B. Krupp-
Eimerkettenbagger aus den
Dreißigern von berauschender
Ingenieurästhetik);

- Prozesse konsequenten Entcharakteri-

sierens einer Kulturlandschaft;

- Leidensgeschichte der früheren 16

Dörfer mit 12500 Einwohnern;
heute wohnen mehr oder weniger
am Grubenrand etwa 20000
Einwohner, von denen etwa 25%
arbeitslos sind;

- regen individuellen Berufsverkehr in die

Industriebereiche um Merseburg,
reduzierten öffentlichen Nahver-
kehr (früher führte Straßenbahn
von Halle nach Mücheln);

- ein Interessen- und Förderverein mit 75

Mitgiiedern, alles kompetente Leute

- ein Zweckverband, dessen Vertreter

durch Gemeinde-Strukturkrisen
gebeutelt sind

- ein Institut, beheimatet in einer nahege-

legenen Großstadt und personell
vernetzt mit einer bekannten
Design- und Kunsthochschule, daß
in diesem Territorium paradigma-
tische Problem- und Lösungsfelder
erkennt im Sinne des deutsch-
britischen Soziologen Rolf Daren-
dorf („die kleine Struktur als Modell
der Bürgergesellschaft") sowie im
Sinne einer integralen Weltsicht;
eine Reihe von jungen und älteren
Leuten, denen eine Tätigkeit im
Erkenntniszusammenhang dieses
Instituts sinnvoll erscheint.

Die fachwissenschaftliche Weiterführung
unseres Themas soll sich auf einige Schlüssel-
kategorien beziehen, nämlich Kreativität,
Innovation, Intervention und Paradigma.
Derterrible homme Tom Peters sagt: „Sei ge-
fährlich kreativ oder mache dicht."

(vgl., Kreatives Chaos, Hamburg 1988, S.481).
Voraussetzung für Kreativität ist, Visionen zu
schaffen und sie zu leben. Visionen müssen
Kräfte freisetzen und zur Übernahme von
Verantwortung führen; sie müssen so spezi-
fisch sein, Ballast bzw. alte Zöpfe damit über
Bord werfen zu können und ailgemein ge-
nug, um genügend Spielraum für Kühne und
weitreichende Initiativen in der sich ständig
verändernden Welt von heute zuzulassen.
Damit scheint die Aufgabe des Hochschul-
lehrers schon hinreichend genug beschrieben
zu sein.

Ich erkenne auch Zusammenhänge zur Fest-
stellung Zemp's: als Designer sollte man
Generalist sein und ausschließlich vom Ge-
samtkomplex ins Detail gehen (vgl. Werner
Zemp, in: Hochparterre 12/1989).

Panta rhei ist ein uraltes Wort. Es hat für mich
etwas unendlich kontemplatives.

Die ideology of the newclaim moderiert den
Eingriff in den Gang der Dinge.

Die Industriebetriebslehre, seit Taylor unge-
brochen prosperierend, machte den Begriff
„Intervention" Hörsaal-bzw. leitungsetagen-
fähig und schuf zudem Interventionstech-
niken, die den Designer - vorausgesetzt, er
hat solche Techniken drauf - für Leitungs-
etagen fit macht. Ich will hier nur zwei Inter-
ventionsarten erwähnen: bei der Grid-Orga-
nisationsentwicklungs-lntervention wird von
einem kreativen Fitneßprozeß des einzelnen
ausgegangen, daß der arbeitsteilige Prozeß
optimiert und schließlich die Kommunikati-
on der Gruppe stabilisiert.

Die Prozeßberatungsaktivität geht von der
Wahrnehmung des Klienten aus und steigert
dessen Diagnose- und Problemlösungsfähig-
keit. Wertvoll und unerläßlich werden diese
Techniken nach meinem Dafürhalten da-
durch, daß stets die Betroffenen beteiligt
sind, daß sie stets erfahrungsorientiertes wie
kognitiv-theoretisches Lernen umfassen, daß
die Klienten zu Experimenten angeregtwer-
den, daß konkrete Problemlösungen und
„daß Leben" gelernt werden, daß die Klien-
ten zu den Inhalten der Aufgabe und dem
Prozeß ihrer Interaktion sowie durch diesen

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