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Deussen, Paul
Mein Leben — Leipzig, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.9540#0348
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Ostern 1912 gelang, ihn persönlich in Leipzig zu treffen und die
sechzehn Bände der HandeXemplare leihweise nach Lliel zu erhalten.
Über ein Iahr habe ich sie in meinem Hause gehabt und von
Anfang bis zu Ende abschreiben lassen, hätte sie auch behufs der
Drucklegung gern noch länger behalten, wäre nicht der immer un-
geduldiger sich gebärdende Besitzer am 22. Iuli 1912 zum all-
gemeinen Schreck persönlich in meinem Hause erschienen, um
mit llngestüm die letzten, noch in meinen Händen befindlichen
Bände zurückzusordern. Ich mützte mir wohl Vorwürfe machen,
ihm sein Eigentum durch allerlei Vertröstungen, Listen und
Lünste so lange vorenthalten zu haben, läge nicht hier ein Fall
vor, wo wirklich einmal der Zweck die Mittel heiligte.

Mit dem 16. Februar 1911, wo wir, abgesehen von der
silbernen Hochzeit, unsere letzte Gesellschaft gaben, geriet der bis
dahin mit den Familien der Kollegen und andern nach Möglich-
keit unterhaltene gesellige Verkehr ins Stocken. Schon seit einiger
Zeit hatte meine Frau, wenn sie, wie gewöhnlich, meine Vorlesung
mit mir besuchte, einige Beschwerden beim Atmen, und diese
steigerten sich nach einer Eesellschast bei Lüthje am 28. Februar
so sehr, daß sie nicht imstande war, die kleine Steigung von dort
zu meiner Wohnung zu überwinden, und ich sie mit einigen Be-
kannten unterwegs stehenlassen mutzte, um einen Wagen zu holen.
Ich fand es geraten, sie für zwölf Tage nach dem Krankenhaus
Quickborn zur Beobachtung und gründlichen Untersuchung durch
Lüthje zu schicken, welcher einen Herzklappenfehler konstatierte
und sür den Sommer möglichste Ruhe verordnete.

Meine Frau blieb denn auch den ganzen Sommer durch
oben in ihrem schönen grotzen Zimmer, war im übrigen in heiterer
Stimmung, empfing Vesuche und schrieb Briefe, da die bei ihr so
häufigen melancholischen Anwandlungen in den Hintergrund ge-
treten waren. Erst mit der silbernen Hochzeit trat eine Wendung
zum Schlimmeren ein, von der noch zu berichten sein wird.

Inzwischen war ich am 21. März mit Erika von Kiel nach
Berlin und von dort am 27. März weiter nach Leipzig gefahren,
wo wir mit der Familie Brockhaus einen angenehmen Tag ver-
lebten, die ersten fertigen Eremplare der „Philosophie der Griechen"
zur Überreichung auf dem Kongretz zu Bologna mit uns nahmen.
 
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