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96

Wolfgang Deutsch

laus als kennzeichnend festgestellt haben, da dürfen wir einen Einzelentwurf des
Straßburger Meisters vermuten187.
Am deutlichsten trifft das zu bei den Wangen E 39, 38, 35, 34, 31, 30.
Die Wangenreliefs. Weit schwerer noch lassen sich die Reliefs der Wangen auf den
Anteil Niklaus Gerhaerts überprüfen. Wir werden am besten so vorgehen, daß wir
zunächst alle sicher nicht für Niklaus in Frage kommenden Kompositionen aus der
Betrachtung ausscheiden.
Mehrere Reliefs sind nämlich bestimmt nicht nach Entwürfen des Niklaus, son-
dern nach Stichen des Meisters E. S. gearbeitet. Fast genau übernommen wurde das
Einhornweib der Spielkarte L 229 („Tierdame“) in das Relief E 23189 und die Ranke
mit sieben Vögeln, G 568, in das Relief E 14. (Es läßt sich beweisen, daß auch bei
der Vogelranke nicht E. S. der Kopist war, wie Eschweiler meint, sondern der
Schnitzer; die Komposition ist nämlich für ein Breitformat erfunden und auf der
Wange um 90 Grad gegenüber der richtigen Ansicht gedreht190.) Auch Ranken, wie
sie die Wangen E 15, 22 und 23 zeigen, findet man in ähnlicher Art bei E. S., auf den
Stichen L 308—314 und L 224. Außerdem dürfte das Wangenrelief der Vertreibung
aus dem Paradies, E 27, in seinen einzelnen Bestandteilen auf E. S.-Stiche zurück-
gehen: Den unbeholfen zwischen die Figuren gesteckten Baum191 erkennt man leicht
als Versatzstück; er kommt ähnlich auf L 1 vor, an gleicher Stelle der Komposition,
und seine Krone auch auf L 214. Das Bewegungsmotiv von Adam und Eva ist
typisch für E. S.; man findet es bei dem Christkind auf L 82, dem Johannes auf L 31
und vielen anderen Figuren. Ebenso paßt der Engel in dieGestaltenwelt des Stechers;
könnte man ihn von hinten betrachten, er sähe genau so aus wie der Cherub auf
L 152; ein verlorener Stich kann als unmittelbares Vorbild gedient haben.
Diese Gruppe der nach E. S. gearbeiteten Wangen scheidet also für unsere Unter-
suchung aus. Was übrig bleibt, läßt sich in zwei weitere Gruppen einteilen:
Bei der einen Gruppe erhebt sich hinter den Figuren ein reich gegliederter Land-
schaftshintergrund mit schroffen Felsen, dürren Bäumen und manchmal auch Häu-

187 Welcher Art solche Entwürfe gewesen sein mögen, ob es skizzierte oder gar genauere
Visierungen waren oder vielleicht sog. „Klötzchen“188 oder Modelle, die dann die
Komposition auch räumlich festgelegt hätten, läßt sich heute nicht mehr entscheiden.
188 Dieser Ausdruck wurde zuweilen für den späteren Begriff „bozzetto“ verwendet.
Vgl. Huth, S. 34 f. Die Klötzchen waren vermutlich nur roh ausgearbeitet.
189 Vgl. Eschweiler, S. 30, Hessig, S. 18. Zweifellos ist die Beziehung zwischen Stich und
Wange nicht umgekehrt, einmal weil der Stich normalerweise die Seiten vertauscht
hätte, vor allem aber aus chronologischen Gründen. Geisberg, S. 41 f., setzt das klei-
nere Kartenspiel, dem der Stich angehört, vor das größere und dieses in die zweite
Hälfte des Jahres 1463. Außerdem hat sich der Stecher sehr oft mit solchen Einhorn-
figürchen abgegeben (L 269, 270, 271, 272 und G 436), zum Teil — nach Geisberg —
in noch früherer Zeit. Es waren Gestalten seiner Kartenspiele.
190 Erhalten ist nur ein Nachstich Israhels von Meckenem. Der Originalstich des E.. S.
war also gegenüber dem Relief nicht seitenvertauscht, was freilich noch nichts beweist,
denn jeder Schnitzer hätte die Seiten für seine Zwecke leicht selbst vertauschen kön-
nen. Entscheidend ist vielmehr folgendes: Der Stich steht richtig, wenn die Breitseite
mit den Blattbüscheln unten ist. Dann wächst nämlich die Pflanze aus dem Boden,
und alle Vögel stehen aufrecht, während sie sonst in unnatürlichen Stellungen in der
Luft hängen. Demnach ist die Komposition nicht für die hochkant stehende Wange
erfunden, sondern für den Stich oder ein anderes Werk, das der Stich wiedergibt. Es
spricht aber alles dafür, daß E. S. selbst der Erfinder war, denn auf vielen seiner
Stiche — besonders auch auf früheren — kommen solche Ranken mit Blumen, Früch-
 
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