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Deutsche Kunst: illustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen ; Centralorgan deutscher Kunst- u. Künstlervereine — 2.1897/​1898

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Nr. 6 (15. Dezember 1897)
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https://doi.org/10.11588/diglit.69999#0130
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Deutsche Kunst.

Vermischlos. Luviosa aus Melier und TtenkstM
Gedanken über bildende grinst.

Stadt contra
Staat.
Der Stadt Braun-
schweig waren durch eine
letztwillige Verfügung der
Wittwe des »Ritterguts-
besitzers von Reinicke vom
Jahre 1S65 sünfundacht-
zig zum Theil sehr werth-
volle Oelgemälde mit der
Bestimmung vermacht
worden, daß sie in dem
Museum am Bohlwege
untergebracht werden
v" . - sollten, und daß, wenn
dereinst eine Ausscheidung
dieser Bilder^ aus dem Museum erfolgen würde, der Magistrat der Stadt Braun-
schweig ihnen eine andere sichere Stelle gewähren solle. Als nun die Stadt vor
zwei Jahren eines der Gemälde zu haben wünschte, um es dem deutschen
Hochstiste zu Frankfurt a. M. für die damals dort veranstaltete Goethe-Aus-
stellung zu übersenden, verweigerte der Staat die Herausgabe des Bildes.
Dieser Vorfall in Verbindung mit dem Umstande, daß die Stadtverwaltung
beabsichtigt, für die ihr gehörigen, jetzt in verschiedenen Gebäuden unter-
gebrachten Gemälde angemessene Räume zu schaffen, waren für den Magistrat
die Veranlassung, die der Stadt an der von Reinicke'schen Sammlung zu-
stehenden Ligenthumsrechte geltend zu machen und das Staatsminlsterinm um
Abgabe einer Erklärung dahin zu ersuchen, daß die fraglichen Gemälde der
Stadt nach Beschaffung geeigneter Räume auf deren Verlangen würden
herausgegeben werden. Das Staatsministerium hatte aber die Abgabe dieser
Erklärung nicht nur verweigert, sondern auch die Ansicht geltend gemacht,
daß das Ligenthumsrecht der Stadt an den Gemälden zu Gunsten des
herzoglichen Museums beschränkt worden sei. Da nun die Stadt dieser Aus-
legung der letztwtlligen Verfügung nicht beipflichten zu können erklärte und
einen Verlust ihres Anspruchs durch Verjährung befürchtete, so strengte sie
einen Prozeß gegen den Staat und das herzogliche Finanzkollegium auf
Herausgabe der Bilder an. Nachdem in dem seit zwei Jahren schwebenden
Prozesse eine große Anzahl von Vernehmungen stattgefunden hatte, wurde
von der ersten Zivilkammer des herzoglichen Landgerichts entschieden, daß die
fraglichen Bilder der Stadt aus Aufordern dann zurückzugeben sind, wenn sie
anderweitig eine sichere Stelle zur Aufbewahrung für diese geschaffen haben
wird. Die nicht unerheblichen kosten des Rechtsstreites wurden dem Staate
auferlegt.

Kuriosa aus Atelier uuv Werkstatt.
— Die Volksvertretung und der Naturalismus. Die zweite
Sächsische Kammer beschäftigte sich mit der naturalistischen Maleret. Sie
nahm gegen eine zu weitgehende Berücksichtigung der „Modernen" bei An-
käufen für die königlichen Kunstsammlungen Stellung. Nur ein Sozial-
demokrat trat für die Freilichtmalerei ein, während die konservativen und die
fortschrittlichen Redner unter dem Beifall der Kammer sich mißfällig über das
Vorherrschen der modern-realistischen Richtung in der Galerie, namentlich über
den Ankauf des großen Gemäldes „Und der Herr schuf einen Garten" aus-
sprachen, das als eine Verhunzung der Natur gerade das abschreckendste Bei-
spiel dieser Schule darstelle. An solchen Bildern sehe man sein gelbes, rothes
und blaues Wunder. In den gebildeten Lürgenkreisen herrsche die Ansicht
vor, daß man der neuen und allerneuesten Richtung gegenüber sich reservirt
verhalten müsse. Dort fälle man über manche als genial gepriesene moderne
Malereien das Urtheil: „Farbenklexerei" und meine, die Mutter Natur müsse
sich über solche Konterfeiungen schämen. Fahre man fort, derartige Gemälde
anzukaufen, so müsse man bald ein neues Museum bauen; denn erst auf 5
bis 10 m Entfernung könne man sehen, was sie darstellen sollten. Staats-
minister v. Watzdorf erwiderte, über Geschmacksrichtungen lasse sich ja streiten,
aber die Stiftung, aus der jene Ankäufe gemacht seien, schreibe den Ankauf

von Werken lebender Künstler vor, unter diesen aber übten vier Fünftel die
Freilichtmalerei aus.
— Unter Bildern begraben. Eine Grabstätte der seltsamsten Art,
von der nur wenig Leute kenntniß haben, befindet sich in der im Süden
Londons gelegenen Vorstadt Dulwich. Ls handelt sich um das Grab Sir
Francis Bourgeois, der mit einigen Familienmitgliedern in der wunderschönen
Gemälde-Galerie, deren Gründung man ihm verdankt, ruht. Das eigentliche
Mausoleum befindet sich in der Vorhalle und ist durch eine kleine Thür, die
aus der Galerie hinausführt, zugänglich.
— Zoll- und Kunstkritik. Von der New-Porker Behörde der Zoll-
abschätzer ist eine interessante Entscheidung betreffs der auf Kunstwerke be-
züglichen Bestimmungen des neuen Zolltarifs abgegeben worden. Ls handelte
sich um die spezielle Frage, ob ein für eine Kirche in Binghampton, N. p.,
aus Frankreich importirter Altar als Kunstwerk von Zollgebühren befreit ist,
mit anderen Worten um eine Definition des Wortes Kunstwerk. Seitens
eines von den Importeuren angerusenen Sachverständigen wurde der betreffende
Altar zwar nicht als Kunstwerk im eigentlichen Sinne, jedoch als ein Pro-
dukt des Kunstgewerbes bezeichnet. Die Generalappraisecs erklärten darauf
in ihrer Entscheidung, daß das Zollgesetz nur wirklichen Kunstwerken, d. h.
entweder Originalen oder Nachbildungen, die im Atelier eines Künstlers
von diesem selbst oder wenigstens unter seiner Anleitung hergestellt wurden,
eine zollfreie Einfuhr gestatte. Alle Nachbildungen, die in fabrikmäßigen
Etablissements hergestellt würden, seien nicht als Kunstwerke zu betrachten
und daher zollpflichtig. Zu diesen gehöre auch der erwähnte Altar, der von
Sachverständigen als ein Produkt der Architektur bezeichnet worden sei.
— Lins der sieben Wunder von Jena. Eins der sieben Wunder
von Jena, das weigel'sche Haus in der Iohannisstraße, wird gleich nach
Neujahr abgebrochen werden, um einem Neubau Platz zu machen. Das Haus
ist um 1670 von dem berühmten Mathematiker Erhard Weigel, der den Herzog
Wilhelm von Sachsen-Weimar in 14 Tagen alle Sterne kennen lehrte, er-
baut worden. Jena wird sich also in kürze nur noch mit sechs sichtbaren
Wundern benügen müssen, das siebente wird noch in dem bekannten Distichon
fortleben:
cupul, ärmco, rriorrs, xons, vulpeculn mrris
WsiKslinnn cjomrm: septern rniraculs lenae.
— Ein neuer Bildermarkt jenseits desGroßen Oceans. Lin in
pittsburg verstorbener Millionär hat der Stadt sein ganzes vermögen mit
der Bedingung vermacht, daß eine Bildergalerie angelegt werden soll, und
zwar sollen jedes Jahr 200 000 M. für Gemälde moderner Meister aus-
gegeben werden. Das Programm ist ebenso sorgfältig entworfen wie kost-
spielig. Line Iur^ wird alljährlich Europa bereisen, um Gemälde zu einer
Ausstellung anzuwerben, welche jedes Jahr im Herbst in pittsburg stattfinden
wird. Die erste Ausstellung wird noch dieses Jahr eröffnet werden. Ls soll
eine Iur^ gewählt werden, in welcher jedes Land, das bei der Ausstellung
betheiligt ist, durch zwei namhafte Künstler vertreten wird. Nach dem Urtheil
dieses internationalen Eomites sollen, soweit die Gelder reichen, Ankäufe
für die Galerie gemacht werden. Den Künstlern werden alle ihnen durch
ihren Aufenthalt in pittsburg erwachsenen Spesen erstattet.
— Kunst und Anatomie. In der Münchner Medizinischen Wochen-
schrift ist ein Arzt grausam mit den Bildern der Dresdener Ausstellung ins
Gericht gegangen. Antonio Lhiattone hatte ein Relief „Ruhe" ausgestellt,
von dem der Jünger des Aeskulap zu sagen weiß: „Dem Kinde sind in der
rechten Achselhöhlenwand einige Nippen herausgenommen worden, und der
Brustbeinausfchnitt hat sich ganz nach links verzogen, mit schiefem Aufsatz
des Halses." Die „Susanne im Bade" von O. Fritzsche (Dresden) „hat von
der Taille an nach unten männliche Formen — das bekannte und bequeme
Mittel, um X-8eine zu verhüten." — Max Slevogt's Todtentanz weist nichts
Geringeres auf, als „einen schief geheilten Oberarmbruch mit Schwund der
Armmuskeln und 40 Prozent Verlust an Arbeitsfähigkeit." „wer sich für
die richtige und für die falsch wiedergegebene Lontur des Darmbeinkammes
bei einjeitig nach vorn gerolltem Bein interefstrt, der kann Vergleiche anftellen
bei den verschiedenen schaumgeborenen Göttinnen."
 
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