Deutsche Kunst.
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sie die entzückendsten Motive. Was hier der Natur an großen
Linien und üppiger Formenentfaltnng abging, das ersetzte sie
durch einen sich in zarten Umrissen aussprechenden stillen Frieden,
den ein mildes Licht durchzitterte und verklärte. Die stumme
Natur gewann für den, der sich liebevoll in ihr Wesen vertiefte,
im Wehen der Lüfte, in der wechselnden Beleuchtung ein eigen-
artig vertrautes Leben. Der lange auf Umwegen gesuchte un-
mittelbare Anschluß an die Natur war mit dem Augenblick
gefunden, wo man ihn in der nächsten, in ihren bescheidenen
Reizen leicht erkannten Umgebung suchte.
Und so zogen sie denn hinaus, die Jünger der neuen Kunst,
in den Wald von Fontainebleau, ohne den Ballast der klassischen
und romantischen Tradition, und belauschten die Natur im
keuschen Reiz ihrer lufi- und lichtumflossenen Formen. Lharles
de Laberge malt mit liebevollem Fleiß jedes Steinchen am Wege,
jedes Blättchen am Zweige, wie das Licht über seine Fläche
hinstrelft, und führt am Holzdach eines Hauses jede Schindel in
ihrem eigenen Lokalton aus.
Paul Huet erfaßt den Charakter
der Landschaft, wie er sich ver-
schiedenartig inden verschiedenen
Jahreszeiten ausspricht, und läßt
jedes seiner Bilder vom Hauch
seiner eigenen Schwermnlh durch-
wehen. Camille Flers stellt die
Natur im festlichen Sonntags-
kleide dar, sauber und zierlich, wie
eine Landschöne, die sich zum
Kirchgänge geputzt hat. Louis
Labat und Dupre geben die
plastischen Formen des Bodens,
wie sie sich hinter- und übereinan-
der verschieben, in ihrer feuchten,
keimfördernden Fülle wieder,
und Theodore Rousseau faßt
alle diese Bestrebungen zusam-
men in derDarstellung jener leben-
digen Wechselwirkung zwischen
Luft und Lrde, die sich in reiz-
vollen Licht- und Farbenefsekten
ausspricht und als Stimmung
in das Empfinden des Be-
schauers übergeht.
Neber die Meister der puzr-
suAe intime, wie man die oben-
genannten Maler bezeichnet, geht
Camille Corot wesentlich hinaus.
Cr ist der Poet unter den Künstlern. Cr begnügt sich nicht
damit, der Natur nachzuschafsen, er nimmt sie empfindend in
sich auf, formt ste zu einem neuen, eigenartigen Gebilde um
und setzt so an die Stelle der einfachen Wirklichkeit eine künst-
lerisch verklärte Wahrscheinlichkeit. Camille Corot hat die ganze
Entwickelung der französischen Landschafts-Malerei an seiner eigenen
Person erfahren. In den Ateliers von Michallon und Berlin
lernte er die Detail-Malerei und die komponirte Landschaft ver-
achten, auf einer Studienreise durch Italien ging ihm der
Sinn für die Unterordnung der Lokaltöne unter die großen
Lichtmassen auf, und im Walde von Fontainebleau erschloß sich
ihm der intime Reiz der nordischen Natur, der sich im stillen
Wechselverkehr mit der Atmosphäre ausspricht. Seine Land-
schaften sind ideale Gestaltungen auf realistischer Grundlage.
Daß Bäume existiren, wie sie Eorot malt, ist über jeden Zweifel
erhaben, über den Namen, über das Wo und Wie läßt sich
streiten. Seine Halme und Sträucher wogen zu einer Ton-
masse zusammen, in der die Umrisse verschwimmen, aber ein
Windhauch bewegt sie, und sie leben. Seine Blätter rauschen
und durch all seine Landschaften geht ein märchenhaftes Gingen
und klingen, das sich durch Vermittelung des Auges beinahe
dem Ohr vernehmlich macht. Ueber dem Ganzen aber breitet
sich ein eigenartiger, von Lichtstrahlen durchzitterter, stlbergrauec
Schleier aus, hinter dem die verschwimmenden Gestalten tanzender
Nymphen und Elfen ein unkörperliches und gerade darum wahr-
scheinliches Dasein führen. Was sich in ihnen zauberhaft ge-
staltet, ist eben wieder die subjektive Stimmung, die sich in
ihrer Unfaßbarkeit symbolisch ausspricht. Corot hat seine Auf-
fassung der Natur selbst charakterisirt: „Um richtig in meine
Landschaften einzudrlngen, muß man wenigstens so lange Geduld
haben, bis der Nebel sich hebt. Man kommt nur nach und
nach hinein, aber wenn man darin ist, wird man schon seine
Freude haben. Man wirft meinen Gemälden das Vage, Un-
bestimmte vor. Warum? Die Natur schwebt und schwimmt. Wir
schwimmen und schweben! Das Vage ist eben die Ligenthümlichkeit
des Lebens!"
Dieses „Unbestimmte" macht das charakteristische Merkzeichen
der Malweise Lorot's aus, auf dieses Unbestimmte geht seiner
Natur-Anschauung entsprechend auch seine Technik. Wer ein
Bild, wie den Nymphentanz Fim Luxembourg verstehen will,
muß sich zunächst mit den Ab-
sichten des Künstlers befreunden.
Baumschlag, Bodengestaltung
und Staffage sind ihm gleich-
werthige Objekte, die, durch Luft-
und Lichtwellen in gelockerten
Umrissen durchschimmernd, als
Träger einer Stimmung erschei-
nen. Lorot's „flüchtige" Technik
ist nicht das Resultat mangel-
haften könnens, sondern ein be-
wußtes Darstellungsmittcl. Das
Laub der Bäume schiebt sich
ihm zu einer fein abgestimmten
Farbenmasse zusammen, aus
der hin und wieder ein vollerer
Grundton hervorbricht. Seine
Stämme wurzeln nicht in dem
nährkräftigen Crdreich, sie
schießen mühelos aus ihm em-
por. Cs erscheint nicht schwer
und lastend, sondern gelockert,
zu immer neuem Treiben bereit.
Der ferne Hintergrund aber
verliert sich völlig in Luft und
Licht, löst sich in Duft auf
und vermittelt so die lyrische
Empfindung. Die Entwickelung
Lorot's, insoweit es sich um die
Staffage handelt, weist aller-
dings auf klassizirende Vorbilder zurück, nimmt aber ebenfalls
eine durchaus eigenartige, an Arnold Böcklin erinnernde
Richtung. Seine Waldgötter und -Göttinnen haben mit der
griechisch-römischen Mythe nichts zu thun. Sie steigen schattenhaft
aus dem Boden auf, schweben leichtfüßig dahin und verlieren
sich als luftige Phantasie-Gebilde in den Büschen. Die aus dem
Gesammtbilde hervorquellende Empfindung klingt in ihren, von
den Bedingungen eines festen Organismus freien Gestalten
harmonisch aus. Sie tanzen einen Nymphenreigen, zu dem
ihre landschaftliche Umgebung gewissermaßen die musikalische Be-
gleitung liefert.
Lorot's künstlerische Eigenart hat sich spät und nach langen
Kämpfen Bahn gebrochen. Erst als Fünfziger erhielt er eine
Medaille erster Klasse und im Jahre 1874 unterlag er in der
Konkurrenz mit Gerome um die Ehren - Medaille des Salons.
Als man ihm dann als Ersatz siir diese Niederlage eine eigene
goldene Medaille mit seinem Bildniß stiftete, fanden ihn seine
Freunde bereits ans dem Krankenbette, kaum zwei Monate
später starb er in seinem neunundsiebzigsten Lebensjahre. Am
Teiche von Ville d'Avray wurde ihm ein Denkmal errichtet.
Ls ist charakteristisch für die moderne Landschafts-Malerei,
daß sie in ihren entfernteren Wurzel - Verzweigungen auf die
poetische Stimmungs-Malerei der Schule von Fontainebleau zu-
Stauffer-Bern. Schlummerndes Aind, Aquarell auf Holz.
Besitz Son Frau M. perl, Berlin.
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sie die entzückendsten Motive. Was hier der Natur an großen
Linien und üppiger Formenentfaltnng abging, das ersetzte sie
durch einen sich in zarten Umrissen aussprechenden stillen Frieden,
den ein mildes Licht durchzitterte und verklärte. Die stumme
Natur gewann für den, der sich liebevoll in ihr Wesen vertiefte,
im Wehen der Lüfte, in der wechselnden Beleuchtung ein eigen-
artig vertrautes Leben. Der lange auf Umwegen gesuchte un-
mittelbare Anschluß an die Natur war mit dem Augenblick
gefunden, wo man ihn in der nächsten, in ihren bescheidenen
Reizen leicht erkannten Umgebung suchte.
Und so zogen sie denn hinaus, die Jünger der neuen Kunst,
in den Wald von Fontainebleau, ohne den Ballast der klassischen
und romantischen Tradition, und belauschten die Natur im
keuschen Reiz ihrer lufi- und lichtumflossenen Formen. Lharles
de Laberge malt mit liebevollem Fleiß jedes Steinchen am Wege,
jedes Blättchen am Zweige, wie das Licht über seine Fläche
hinstrelft, und führt am Holzdach eines Hauses jede Schindel in
ihrem eigenen Lokalton aus.
Paul Huet erfaßt den Charakter
der Landschaft, wie er sich ver-
schiedenartig inden verschiedenen
Jahreszeiten ausspricht, und läßt
jedes seiner Bilder vom Hauch
seiner eigenen Schwermnlh durch-
wehen. Camille Flers stellt die
Natur im festlichen Sonntags-
kleide dar, sauber und zierlich, wie
eine Landschöne, die sich zum
Kirchgänge geputzt hat. Louis
Labat und Dupre geben die
plastischen Formen des Bodens,
wie sie sich hinter- und übereinan-
der verschieben, in ihrer feuchten,
keimfördernden Fülle wieder,
und Theodore Rousseau faßt
alle diese Bestrebungen zusam-
men in derDarstellung jener leben-
digen Wechselwirkung zwischen
Luft und Lrde, die sich in reiz-
vollen Licht- und Farbenefsekten
ausspricht und als Stimmung
in das Empfinden des Be-
schauers übergeht.
Neber die Meister der puzr-
suAe intime, wie man die oben-
genannten Maler bezeichnet, geht
Camille Corot wesentlich hinaus.
Cr ist der Poet unter den Künstlern. Cr begnügt sich nicht
damit, der Natur nachzuschafsen, er nimmt sie empfindend in
sich auf, formt ste zu einem neuen, eigenartigen Gebilde um
und setzt so an die Stelle der einfachen Wirklichkeit eine künst-
lerisch verklärte Wahrscheinlichkeit. Camille Corot hat die ganze
Entwickelung der französischen Landschafts-Malerei an seiner eigenen
Person erfahren. In den Ateliers von Michallon und Berlin
lernte er die Detail-Malerei und die komponirte Landschaft ver-
achten, auf einer Studienreise durch Italien ging ihm der
Sinn für die Unterordnung der Lokaltöne unter die großen
Lichtmassen auf, und im Walde von Fontainebleau erschloß sich
ihm der intime Reiz der nordischen Natur, der sich im stillen
Wechselverkehr mit der Atmosphäre ausspricht. Seine Land-
schaften sind ideale Gestaltungen auf realistischer Grundlage.
Daß Bäume existiren, wie sie Eorot malt, ist über jeden Zweifel
erhaben, über den Namen, über das Wo und Wie läßt sich
streiten. Seine Halme und Sträucher wogen zu einer Ton-
masse zusammen, in der die Umrisse verschwimmen, aber ein
Windhauch bewegt sie, und sie leben. Seine Blätter rauschen
und durch all seine Landschaften geht ein märchenhaftes Gingen
und klingen, das sich durch Vermittelung des Auges beinahe
dem Ohr vernehmlich macht. Ueber dem Ganzen aber breitet
sich ein eigenartiger, von Lichtstrahlen durchzitterter, stlbergrauec
Schleier aus, hinter dem die verschwimmenden Gestalten tanzender
Nymphen und Elfen ein unkörperliches und gerade darum wahr-
scheinliches Dasein führen. Was sich in ihnen zauberhaft ge-
staltet, ist eben wieder die subjektive Stimmung, die sich in
ihrer Unfaßbarkeit symbolisch ausspricht. Corot hat seine Auf-
fassung der Natur selbst charakterisirt: „Um richtig in meine
Landschaften einzudrlngen, muß man wenigstens so lange Geduld
haben, bis der Nebel sich hebt. Man kommt nur nach und
nach hinein, aber wenn man darin ist, wird man schon seine
Freude haben. Man wirft meinen Gemälden das Vage, Un-
bestimmte vor. Warum? Die Natur schwebt und schwimmt. Wir
schwimmen und schweben! Das Vage ist eben die Ligenthümlichkeit
des Lebens!"
Dieses „Unbestimmte" macht das charakteristische Merkzeichen
der Malweise Lorot's aus, auf dieses Unbestimmte geht seiner
Natur-Anschauung entsprechend auch seine Technik. Wer ein
Bild, wie den Nymphentanz Fim Luxembourg verstehen will,
muß sich zunächst mit den Ab-
sichten des Künstlers befreunden.
Baumschlag, Bodengestaltung
und Staffage sind ihm gleich-
werthige Objekte, die, durch Luft-
und Lichtwellen in gelockerten
Umrissen durchschimmernd, als
Träger einer Stimmung erschei-
nen. Lorot's „flüchtige" Technik
ist nicht das Resultat mangel-
haften könnens, sondern ein be-
wußtes Darstellungsmittcl. Das
Laub der Bäume schiebt sich
ihm zu einer fein abgestimmten
Farbenmasse zusammen, aus
der hin und wieder ein vollerer
Grundton hervorbricht. Seine
Stämme wurzeln nicht in dem
nährkräftigen Crdreich, sie
schießen mühelos aus ihm em-
por. Cs erscheint nicht schwer
und lastend, sondern gelockert,
zu immer neuem Treiben bereit.
Der ferne Hintergrund aber
verliert sich völlig in Luft und
Licht, löst sich in Duft auf
und vermittelt so die lyrische
Empfindung. Die Entwickelung
Lorot's, insoweit es sich um die
Staffage handelt, weist aller-
dings auf klassizirende Vorbilder zurück, nimmt aber ebenfalls
eine durchaus eigenartige, an Arnold Böcklin erinnernde
Richtung. Seine Waldgötter und -Göttinnen haben mit der
griechisch-römischen Mythe nichts zu thun. Sie steigen schattenhaft
aus dem Boden auf, schweben leichtfüßig dahin und verlieren
sich als luftige Phantasie-Gebilde in den Büschen. Die aus dem
Gesammtbilde hervorquellende Empfindung klingt in ihren, von
den Bedingungen eines festen Organismus freien Gestalten
harmonisch aus. Sie tanzen einen Nymphenreigen, zu dem
ihre landschaftliche Umgebung gewissermaßen die musikalische Be-
gleitung liefert.
Lorot's künstlerische Eigenart hat sich spät und nach langen
Kämpfen Bahn gebrochen. Erst als Fünfziger erhielt er eine
Medaille erster Klasse und im Jahre 1874 unterlag er in der
Konkurrenz mit Gerome um die Ehren - Medaille des Salons.
Als man ihm dann als Ersatz siir diese Niederlage eine eigene
goldene Medaille mit seinem Bildniß stiftete, fanden ihn seine
Freunde bereits ans dem Krankenbette, kaum zwei Monate
später starb er in seinem neunundsiebzigsten Lebensjahre. Am
Teiche von Ville d'Avray wurde ihm ein Denkmal errichtet.
Ls ist charakteristisch für die moderne Landschafts-Malerei,
daß sie in ihren entfernteren Wurzel - Verzweigungen auf die
poetische Stimmungs-Malerei der Schule von Fontainebleau zu-
Stauffer-Bern. Schlummerndes Aind, Aquarell auf Holz.
Besitz Son Frau M. perl, Berlin.