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Deutsche Kunst: illustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen ; Centralorgan deutscher Kunst- u. Künstlervereine — 2.1897/​1898

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Nr. 19 (15. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.69999#0382
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Deutsche Kunst.

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Tragödie, in leidvoll angehauchten Halbtönen noch einmal zu
wiederholen. Und mit der Zeit steigerte sich die Sehnsucht des
faustischen Malers, die Grenzen wurden überschritten, überlebens-
groß, titanenhaft erwächst aus der taurischen Priesterin die kol-
chische Dämonin „Medea".
In ihrer königlichen Weibesseele muß ein verstärkter Vollton
des Verlassenseins ausklingen. In allen Stadien vor und nach
ihrer grausigen That beschäftigt ihn Medea in einer Fülle von
Skizzen und Studien. Den Gipfelpunkt bezeichnet „Medea auf
der Flucht" in der Münchener Pinakothek. Die Summe aller
seiner Kunstprinzipien zog Anselm Feuerbach im „Gastmahl des
Plato". Hier versetzt er uns auf die Höhe aller antiken Kultur,
die zugleich den keim des Verfalls in sich trägt. In das feier-
liche Symposion edler Denker und Dichter läßt er die ungestüme
Sinnenlust eines untergrabenen Gybaritismus eindringen, neben
Plato und Sokrates stellt er Alkibiades und die Tänzerinnen.
Wie in Hamerling's Künstlerroman „Aspasia" Licht- und Schatten-
kontraste den Geist der alten und neuen Zeit charakterisiren,
wählt der diesem Dichter verwandte Feuerbach denselben ver-
hängnißvollen Kulturwendepunkt zum Stoff seines bedeutsamen
Werkes, was Hamerling jedoch mit Makart'schen Farben-

symphonien umrauscht, tönt der Maler asketisch ab. Cr will durch
keinen Effekt bestechen. Lr will monumentale Gestalten, rein ge-
zeichnet, klar disponirt, wie ein antikes Basrelief hinstellen.
Wieder ordnet sich der Maler dem Plastiker unter. Ls geschieht
dies auch in diesem Werk, um in geschlossener Gesammtwirkung
sein Gepräge des herben Heroismus festzuhalten. Die mord-
lustige Kritik ist damals verständnißlos mit dem Werke um-
gegangen, und nur die hannöversche Malerin ^Fräulein Röhrs
rettete Feuerbach durch ihren Ankauf vor verhängnißvoller
Seelenverfassung. In der figurenreichen „Amazonenschlacht",
einem Gemälde von 24' Länge und 15' Höhe suchte er die
plastische <Formenschönheit unbefangener Nacktheit in mannig-
fachsten Stellungen zum Ausdruck zu bringen. Das gespenstische
Grau des Kolorits erzielte die Wirkung einer Kartonschöpfung,
trotzdem die entfesselte Wucht leidenschaftlichen Anstürmens ein-
hertobt. Dieses Werk, das bewegteste Bild des Künstlers, ist
jetzt im Besitze der Stadt Nürnberg und zeigt besonders in der
Vorarbeit seines Skizzenmaterials Rubens'sche Riesenhaftigkeit.
Auf der Höhe seines künstlerischen Schaffens folgte der-
maler 1873 dem Ruf als Professor der Historienmalerei nach
Wien. Im Gybaris der Geister fchäumte die Lebenslust damals


A. Feuerbach, Im Garten. Oelgemälde.

durch die Zeit des Gründerthums in be-
sonderem Uebermaß. Der fpartanifch em-
pfindende Feuerbach zog sich auf sich selbst
zurück, und nur wenige Getreue ahnten die
Fülle kindlichen Liebesreichthums in seiner-
großen Seele. Wie gern hätten sich dem
berühmten Künstler alle Salons geöffnet, wenn
er nur ein wenig den Kompromiß mit der
Trivialität versucht hätte. Man mißverstand
seine Schöpfungen, eine Steuermisere ver-
bitterte sein Leben, und wie Grillparzer
litt er unsäglich unter bureaukratischen Klein-
lichkeiten. Als man nach mehreren be-
stellten Deckengemälden für die Kunst-
akademie den Auftrag bis auf das
Mittelbild, den „Titanensturz", zurücknahm,
war das Leidensmaß für den inzwischen
schwer erkrankten Künstler voll. Nach einem
kurzen Urlaub auf italienischem Loden wieder-
hergestellt, verließ er tiefverletzt das Bereich
Makart'fcher Tropenschwüle. In Nürnberg
erfrischte ihn der Auftrag, den „Lmpfang
Ludwig des Bayern" für den Iustizpalaft zu
malen, mit dessen Ausführung er hohe Ehren
erntete. Die Sehnsucht trieb ihn nach Italien,
wo er mit einer königlichen Sicherheit ohne
Gleichen aus voller Seele an feinem monu-
mentalen „Titanenfturz" weiterarbeitete. Lin
lähmender Pessimismus hatte sich mehr und
mehr über ihn gelagert. „Ueberzeugen kann
ich die Welt nicht, noch weniger mich ihr
unterordnen" war des Illusionsberaubten
Glaubenssatz geworden. Lin „Konzert", zu
dem ihn ein Mädchen-Guartett auf dem Lido
anregte und dessen Ausführung der plötzliche
tragische Ertrinkungstod der Mustzirenden er-
schwerte, hat die Berliner National-Galerie
als letzte pinselthat Feuerbach's erworben.
Bittere Klagen über die Härte und Teil-
nahmslosigkeit seiner Zeitgenossen auf den
Lippen starb er einsam in einem Hotel der
Lagunenstadt am 4. Januar 1880. '
„Nicht im Leben, sondern am Leben"
ist er nach eigenem Wort zu Grunde gegangen.
Bei dem Tode des soeben verstorbenen Burne-
Jones liegt ein Vergleich beider Künstler nahe.
In der knospenhaften Verschlossenheit, dem
melancholischen Hinbrüten ihrer Gestalten strömt
verwandtes Geelenfluidum.
 
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