Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1916)
DOI Artikel:
Rinck, Paula: Uneheliche Kinder
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0224
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Parteien überhaupt ankame! Sind die Linrichtungen nicht mehr als die
Einzelnen, jene Formen, die der Einzelne ja erst mit Blut, Leid und Glück
füllen soll? Iene Formen, die den Einzelnen überdauern werden, ob er
sich an ihnen wundrieb oder sich in sie einschmiegte, jene Formen, die Hun-
derten neben uns und nach uns Anterschlupf und Heimstatt sein müssen —
jene Formen, ohne die das Leben wieder Chaos würde?

An die wichtigste von allen diesen Formen, nämlich an die Keimform
des Staates selbst, rührt heute Norwegen. Die Ehe wird erschüttert. Sie
wird zum mindesten für die Abergangszeit eines vollen Menschenalters un-
sicher und unruhig gemacht. Denn die Doppellust halbblütiger Geschwister,
Erbzank und Haß, werden in verschärftem Maße in alle Familien hinein-
getragen.

Aber danach? Wenn erst die Menschen in das Neue Hineingewachsen
sein werden? Auch dann wird die Gefahr nicht aufhören. War seither
nur die Ehe der außerehelichen Mutter bedroht, so wird jetzt auch die Ehe
des Vaters der Brandung preisgegeben. Wird bei dieser Verdoppelung
der Gefahr nicht der Schaden überwiegen?

Vielleicht sind außer dem Weg, den Norwegen geht, doch noch andere
Wege möglich, um das außereheliche Kind zu schützen, ohne die Ehe selbst
zu gefährden. Denn darüber dürfen wir uns nicht täuschen: allen miß--
glückten Einzelschicksalen zum Drotz bleibt doch die Ehe in der Ruhe ihrer
heutigen Form tzeimstatt der Seelen inmitten der tzeimatlosigkeit unserer
Lebenshast — und wenn wir auch diese Form nach neuen Bedürfnissen der
Wahrhaftigkeit umgießen möchten, an ihrer Ruhe und Unantastbarkeit
selbst darf nicht gerüttelt werden. Wird es gelingen? Es will scheinen,
als ob Norwegen die Ehe auf eine neue Art, die erst wachfen 'muß, nämlich
von innen heraus, zu schützen suche, indem es ein naturnahes und zugleich
gütiges Erkennen erst verfeinert, um es dann, dem Lebenskampf preisge-
geben, sich härten zu lassen, und zwar härten von innen heraus, ein natürliches
Knochengerüst für die bewegliche Masse der Seele, während unsere Ehe, so
wie wir fie heute haben, nur hart und kräftig von außen geschützt wird,
durch reichlich widernatürliche Gesetzespanzer, die kaum der größte Iam-
mer zu sprengen vermag, und die dazu noch umhangen sind von mittelalter-
licher Moral und von seltsamen tzaßausbrüchen. In uns allen aber lebt
die Sehnsucht, die Ehe wieder mit unverbrauchtem, reinem Leben zu füllen.

Doch da fängt von neuem das Fragen an: Können Gesetze überhaupt
noch den Inhalt der Form berühren? Können sie überhaupt in einem
Nechtsstaat noch etwas änderes sein als Eisenreifen, damit die Form nicht
auseinanderbirst? Ist es nicht das lebendige Leben selbst, das als Inhalt
in jeder Form brandet, unerreicht von Vorschriften? Unerbittlich not-
wendig muß es seinen Weg gehen. Wohin? Wir wissen es selber nicht.
Es scheint fast, als habe es mit unsern Rechtsgesetzen nichts mehr zu tun.
Ia, wenn auch heute noch ein Sinai hinter solchen Gesetzen stünde — viel-
leicht vermöchten sie dann die Gewalten des Lebens umzubiegen. So aber
kann nur der Versuch lehren, ob die norwegischen Vorschläge imstande
sein werden, die Zahl der unehelichen Kinder wirklich herabzusetzen, oder
doch wenigstens ihr verwildertes tzalbwaisenlos ernsthaft zu durchwärmen,
ohne doch, und das ist das, worauf es ankommt — ohne die Luft der
Familien bedenklich zu vergiften. Es ist eben einfach ein Versuch, den
Norwegen wagt — und ein sehr gefahrlicher Versuch.

Wir schauen mitten aus dem Kriege zu und wissen, daß es sich da im
 
Annotationen