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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 13 (1. Aprilheft 1916)
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Grupe, Margot: Die Beschäftigung der Verwundeten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0029

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mehr der Starke dem Schwachen, der Vorgeschrittene dem Ansänger. Ieder
für sich — und mit messendem Blick wird Arbeit und Verdienst des
Nachbarn berechnet. Die Gesundeten — fast schon im vollen Gebrauch der
Glieder — die sind die beliebten und tüchtigen Arbeiter, die guten Verkäufer.

Wenn nun die große Frage überall austaucht, „wo soll denn schließlich
aber Material herkommen", so kann ich nur antworten: man hatte von
Anfang wn sich darüber klar sein sollen, wie groß die Tragweite der ganzen
Bewegung war. Ie mehr man ihre Bedeutung über die Lazarettmauern
hinaus richtig einschätzte, je klarer man sich die Folgen machte und die
Irrwege sah, desto eher hätte man amtliche Stellen, Vereine, Delegierte
und Gönner überzeugt, daß hier Mittel flüssig werden müßten. Für
ernste Zwecke ist von ernsten Leuten immer leichter Geld zu haben wie sür
Spielereien. Im Notfalle wird man auch erfinderisch. In Feindesland
kn einer Etappenstation mit ^OOO Verwundeten, wo auf kein Kaufpubli-
kum zu rechnen ist, sollen die Kantinenüberschüsse zur Materialbeschafsung
verwendet werden. In gleicher Weise ermöglichen es Gefangenenlazarette.

Linzigartig und vorbildlich sorgt das Rote Kreuz von Berlin für seine
Vereinslazarette. Vor über Iahressrist, als die Arbeiten für den Weih-
nachtsbaum und allerlei Familiengeschenke mir die Heilsamkeit gemein-
samer Beschäftigung und ihre Wirkung auf meine Pfleglinge klar machten,
legte ich ihm meinen sesten Arbeitsplan mit Ziel und Weg vor und fand
sofortige freundlichste und großzügige Unterstützung. Die Mittel, um —
bis jetzt — 60 große und kleine Lazarette mit Arbeitsmaterial zu ver-
sorgen, sind da, und jedes Stück gehört dem Verfertiger zu freier Ver-
fügung. Nichts von diesem Material darf anders verarbeitet werden als
in tüchtiger, solider Handfertigkeit, wie unsre Helfrinnen sie im Lazarett
lehren. Diese sind ausgebildete Kräfte, Damen, die durch den Berliner
Verein für Volkserziehung im Pestalozzi-Fröbelhaus sechswöchentliche
Kurse mit täglichem Unterricht und vielstündiger Arbeitszeit unentgeltlich
genossen haben. Diese Lazarettkurse wurden ganz besonders eingeteilt
im Hinblick auf die Handfertigkeit als Heilfaktor und als Erziehungsmittel;
und nach wie vor sieht die ganze Organisation ihren Ausgangspunkt und
ihre Heimat in den gastlichen Werkstätten des Pestalozzi-Fröbelhauses. Von
der jüngsten Iugend haben wir mit wenig Ausnahmen einmal abgesehen
nur reife Menschen bei der Auswahl bevorzugt. Was ihnen vielleicht
in der ungewohnten Handhabung von Säge und Messer an größeren
Schwierigkeiten erwächst, das gleicht sich aus in der Leichtigkeit und
Mütterlichkeit beim Verkehr mit den Kranken. Und der will vorsichtig
und fein eingeleitet sein. Ist schon der Kranke mißtrauisch, so ist der ein-
fache Mann zerückhaltend und er gibt sich nicht so einfach und willig dem
hin, was wir mit ihm vorhaben. Der allererste Lazarettbesuch ist meistens
ein Mißerfolg. Ganz wenige melden sich zur Arbeit; aber es stehen Neu«
gierige herum — das sind diie Schüler für die zweite Stunde. Die
probieren erst heimlich dei den Kameraden, ob sie sich dumm oder schlau
anstellen, um dann auch mitzutun. Auffallend geschickt und genau in
der Arbeit sind unsre Leute, überpaschend für den, der Handgeschicklichkeit
nur den Romanen zuzuschreiben gewillt war; Hofsnung weckend für den,
der aus Verbreitung der Handarbeit in Friedenszeiten rechnet. Aber
sehr der Erziehung bedarf der Sinn für Ordnung und Schätzung des
Materials. Unglaublich wird damit gehaust, verschnitten, verloren, ver-
tan. Beschränkte Wohnverhältnisse, mangelhaster Hausrat, Fehlen jeg-
 
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