Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1916)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0155

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
dein Geschick restlos mit dem deines
Volkes verbunden war: was mein
Volk leidet, will ich anch leiden. Ist
nicht auch Freude dabei, jetzt zu
entbehren? Wer sie nicht fühlt, der
ist jetzt nicht wach, der verschläft
das Heute, der lebt jetzt nicht.

Chr. Wienecke

Verzicht

Lin Auslandsdeutscher schreibt
uns:

as deutsche Heer hat mich auch
im letzten Aufgebot nicht brau--
chen können. Was bleibt uns übrig?
Arbeit, ordentliche Arbeit ist schon
im Frieden ein jenseitiger Heeres--
dienst sürs Vaterland gewesen, da
wird sie's auch im Kriege sein. Wir
nahmen sie, wo wir sie finden
konnten.

Und zwischen den Arbeitstagen
grüßt die Zeitung über die Grenze,
grüßen Telegramme von diesem Va-
terland, mit dem wir zittern, mit dem
wir jubeln dürfen, wir Auslands-
deutschen, so gut wie ihr daheim.
Mir scheint sogar: noch mehr.
Denn ihr seid eingehüllt im
festen Wettermantel eurer Zuver-
sicht, den eure ganze Umwelt
Tag für Tag gewebt hat. Wir in
Neutralien haben diesen Mantel
nicht. Kein Wunder also, daß wir,
wenn die kalten Winde blasen, stär-
ker zittern, aber auch, wenn die
Sonne scheint, noch herzlicher froh-
locken denn ihr. Kälter unser Win-
ter, wärmer unser Sommer. Und
unser liebster Mann ist der Brief-
träger, der die Post aus der Heimat
bringt.

Aber mit dieser Post kam neulich
Luch ein salbungsvolles Schreiben
von einem heimischen Onkel: „Ihr
habt's freilich gut da draußen — kein
Kriegsbrot, kein fleischloser Tag, kein
fettfreier Tag . . Mein Onkel
ist von jeher Dozent in der verglei-
chenden Neidologie gewesen — wir
hätten über seinen Brief zur Tages-

ordnung des Fleisches und der But-
ter übergehen können. Aber die
neutrale Butter und das neutrale
Kalbfleisch schmeckten uns nicht mehr
und den Teller mit dem weißen Kaf-
feekuchen schoben wir zur Seite.

Nicht dem Onkel zuliebe, aber in
seinem Brief war etwas eingeschla-
gen, was nicht von ihm war, was an
der deutschen Grenzkontrolle, wo der
ofsne Brief verschlossen wurde, mit-
hineingeschlüpft sein mußte. Das
stieg nun heraus und sah uns dunkel
an. „Zu Hause verzichten sie alle,"
sagte das, „Ihr in der Fremde, was
tut Ihr?«

„Wir arbeiten", antworteten wir.
„Die zu Hause auch," antwortete es,
„außerdem aber verzichten sie auch
alle auf dies und das."

Gottlob, seitdem haben wir unsre
fleisch- und settlosen Tage so gut wie
Ihr und unser Kriegsbrot so gut wie
Ihr. Ihr seid nicht mehr — besser
daran als wir.

Gestern hatten wir schweizerischen
Besuch. Tante Auguste machte einen
langen Schwall an seine Adresse: es
sei eine Kriegsmarotte von mir und
meiner Frau, eigentlich HLtten wir
das Fasten gar nicht nötig. <Lin
stiller Blick. Sie schwieg. Sie
wurde rot.

„Nicht nötig?" wiederholte es
in uns. Aus einer dunklen Ecke
des Zimmers klirrte leis der Schild
der freiwilligen Notwendigkeit.

„Ich verstehe," sagte unser Besuch
ernst, „ihr hattet euren Anteil an
des Vaterlandes Sieg, nun fordert
ihr auch euren Anteil an des Va-
terlands Verzicht — ich beneide euch
um euer dunkles trocknes Brot/

„Nichts zu beneiden, Herr, ihr
könnt mithalten."

Da hielt er mit und war guter
Dinge mit uns. Fritz Züricher
 
Annotationen