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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 15 (1. Maiheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0157

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tiger Sympathie und werden mit
Recht von den berusenen Vorgesetzten
auf beiden Seiten bekämpft. Frei--
lich ans sranzösischer Seite nicht an-
nähernd so vornehm, als auf deut-
scher, denn kein deutscher General
würde seine Soldaten warnen, „sich
nicht mit Annäherung an die Geg-
ner zu beschmutzen", ein Ausdruck,
den man ihm jedoch in der Annahme
verzeihen kann, daß er den Geist
und die Seele seiner braven Schüt-
zengräbler weniger genau kennt als
wir deutschen Offiziere die der
unsern.

Aber wenn wir von diesen un-
soldatischen Fraternisierungen ab-
sehen, bleiben doch viel Anhalts-
punkte, um auch auf französischer
Seite die Abwesenheit eines richtigen
Hasses annehmen zu dürfen, um an
das Lrwachen des alten Ritter- und
Turniergeistes zu glauben, jenes
Geistes, der den geflohenen König,
als er sah, wie die zu seiner Hilfe
gekommene Ausländerflotte vernich-
tet wurde, ausrufen ließ: „O, meine
braven Landsleute!" Ienes Geistes,
der im achtzehnten Iahrhundert
einen vom Kriegsschauplatz wegver-
setzten General in aller Form bei
„seinem hochverehrten Gegner" Ab-
schiedsbesuch machen ließ.

Wir Deutschen sind ja da ge-
wiß, entsprechend unserm Rational-
charakter, etwas gutmütiger als die
Franzosen. Wir Haben nicht einmal
ein Schimpfwort für sie. Aber wir
nehmen ihnen auch ihr „Boche" nicht
allzusehr übel. Hörte ich doch einen
meiner Leutnants, der einer kleinen
Französin une savonette verehrte,
mit gutmütigem Lächeln auf deren
Frage: „Est ce que c'est sran-
^aise?" antworten „Non, c'est boche".
Die Französin geriet in Verlegen-
heit, der Leutnant lachte noch mehr.
Und nicht bloß im Scherz setzen wir
uns über die Kindereien unsrer Geg-
ner hinweg. Auch wenn Ernst auf
Ernst prallt, erlebt man selbst beim

gemeinen Mann eine oft erstaun-
liche Gerechtigkeit gegen den Fran-
zosen und eine völlige Abwesenheit
jeder „Animosität". Man schießt,
schlägt, sticht, wirst, sprengt sich mit
Genuß zu Tode, aber man haßt sich
nicht. Mir bleibt von hundert FLl-
len am unvergeßlichsten folgender:
Nach einer Sprengung lagenDutzende
von Franzosen tot, verschüttet, einige
waren noch am Leben und wurdeu
nach Maßgabe der taktischen Lage
geborgen. Tags darauf meldet mir
sehr betrübt ein Krankenträger, daß
sein Kamerad 95 — einer der Treff-
lichsten — beim Bergen eines ver-
wundeten Franzosen gefallen sei,
aber, fügte er eifrig bei: „Die Fran-
zosen Haben es nicht gerne getan".
Ich war erstaunt, und vernahm fol-
genden Vorgang. 9L mußte, um den
Franzosen zu bergen, aus dem Gra-
ben und HLtte leicht von drüben ab-
geschossen werden können. Kein
Schuß fiel. Im Graben wurde dann
beraten, ob es noch möglich sei, den
unterdessen schon weiter nach hinten
getragenen Sterbenden auf den Ver-
bandplatz zu bringen, oder in einen
nahen Unterstand. Hiebei traf eine
feindliche Wurfmine die Gruppe und
zerriß die drei. Es war ganz rich-
tig, daß die feindlichen Minenwer-
fer sicher in ihrer weiter zurückge-
legenen Stellung keine Ahnung da-
von hatten, daß da ein Verwundeter
geborgen wurde, deshalb sagte in sei-
nem Gerechtigkeitssinne der schlichte
Mann: „Sie haben's nicht gerne ge-
tan". Ich könnte ungezählte ähn-
liche Fälle berichten und möchte nur
noch streifen, wie man mutige fran-
zösische Angriffe — die allerdings
uns gegenüber recht selten sind und
nie glückten —, wie man gutes Schie-
ßen der Artillerie, schneidige Flüge
rückhaltlos erzählt, anerkennt, be-
wundert. Fast zu weit gehen unsere
Leute oft in Behandlung Ver-
wundeter und sonst Gefangener.
Diese Kerls, die natürlich immer
 
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