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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 17 (1. Juniheft 1916)
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Stapel, Wilhelm: Und immer wieder: Wucher
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0236

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reizt" werden soll. Melmehr: es müssen ihm d ie Preise gewährt werden,
die eine intensive Arbeit unter den gegenwärtigen Verhältnissen nun
einmal erfordert, und ferner, es müssen ihm die andern Vorbedingungen
seiner Tätigkeit wie Arbeitskräfte, Futtermittel nach aller Möglichkeit
verschafft werden. Beispielsweise: erst müssen die Ansprüche des Land«
wirtes an Gerste befriedigt sein, ehe der Brauer welche erhält. Denn
es ist wichtiger, daß der Landwirt sein Vieh füttern kann, als daß der
Bürgersmann Bier trinkt. Damit berühren wir ein Weiteres: die Wert-
ordnung der Lebensmittel. Das für das ganze Volk wichtigste Nah«
rungsmittel muß am sorgfältigsten gepflegt werden. Kartoffeln, Brot und
Milch gehen allen andern Dingen vor. In der zweiten Reihe steht das
Gemüse und erst in der dritten das Fleisch. Ls ist eine Ungeheuerlichkeit,
wenn im Abermaß Rinder abgeschlachtet werden und somit die Milch-
erzeugung eingeschränkt wird, nur um das Verlangen nach Fleisch zu
befriedigen. Also: eine gute Produktionspolitik nach Maßgabe der für
die Volkswirtschaft wichtigsten Produkte.

Zweitens: So sehr die Produktion zu fördern ist, so sehr ist der Weg
des Produktes durch den Handel zu kürzen. Dieser Weg
verläuft in der Hauptsache so: durch tzändler und Agenten werden die
Waren im Lande aufgekauft und an Großhändler geliesert, von diesen
gehn sie wieder an Kleinhändler, und die liefern sie an die Verbraucher
weiter. Wir haben nun oben ausgeführt, daß weder beim Landwirt noch
beim Kleinhändler gefährliche kapitalistische Bestrebungen als vorwiegend
zu finden sind: beide sind durch allerlei Nebeninteressen gebunden. Die
größte kapitalistische Gefahr liegt auf der Strecke zwi--
schen diesen beiden. In der Großvermittlung kann sich der
nackte Erwerbsgeist am leichtesten ausleben, da er hier einerseits die ge-
ringsten psychologischen Hemmungen findet und anderseits durch die Mög-
lichkeit rascher Riesengewinne immer aufs neue^ angespornt wird. Diese
Strecke auf dem Wege der Waren ist nicht ohne Grund die undurchsichtigste.
Hier nistet sich eine Spekulation ein, die der Volkswirtschaft schadet —
es müßte denn sein, daß Kapitalbildung rein als solche schon nützlich wäre!
Linigen Einblick in allerlei Wege der Waren vom Produzenten bis zum
Kleinhändler gibt der Anzeigenteil mancher Zeitungen. Iust in der Zeit,
da das Fleisch in Berlin am knappsten war und das Volk die Fleischer-
läden umlagerte, boten beispielsweise an H. Loebmann: 20 000 Pfund
Dosen Blut-- und Leberwurst, N. Gutmacher: s00 Zentner Schinken, 3500
Dosen Kalbszunge, Schweinezunge, Rindfleisch usw. Zählt man die An--
zeigen zusammen, so kommen gewaltige Mengen von Waren heraus. Be-
zeichnend ist für die Angebote, daß derselbe, Geschäftsmann die verschieden--
sten Dinge anbietet: Fleisch, Maismehl und Kaffee-Ersatz, oder: Schinken,
Lrbsen, Sardinen, oder: Marmelade, Steckrüben, Schokoladenpulver. Das
„Milieu" schilderte jemand in einem Aufsatz über den „Kettenhandel" in
der „Deutschen Tageszeitung" vom 7. Mai so: „Im Seifenhandel sind
heute Leute tätig, die früher Grundstückspekulant, Eierhändler, Getreide--
händler usw. waren, deren sonstige Tätigkeit eben zu stark zusammenge--
schrumpft ist, als daß sie dabei ihr gewohntes Auskommen sinden. Noch
eine andre sehr wichtige Kategorie soll unter den Spekulanten zu sinden
sein. Es sind dies Personen, die infolge verwandtschaftlicher Beziehungen
zu den Warenhäusern oder deren angestellten Einkäufern genau über die
Lage auf den einzelnen Warenmärkten unterrichtet sind. Schließlich bleiben
 
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