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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 17 (1. Juniheft 1916)
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Stapel, Wilhelm: Und immer wieder: Wucher
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0237

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noch die Kreise zu erwähnen, die zu den Kantiniers Beziehungen haben.
Von den Zusammenkünften in Cafes ist man schon langst abgekommen,
man hat es vielfach zum »eigenen Telephon« gebracht. Zuweilen ist es
nur ein Stübchen, das sonst den ganzen Tag weiter seinen Mieter nicht
sieht. Von diesem Stübchen aus aber wird dem deutschen Volke die
Seife an einem, am andern Tage die Kerzen usw. verteuert. Auch sitzen
diese Spekulanten nicht hauptsächlich in Berlin. Man findet sie zahlreich
auch in den AufmarschgebietLN der Truppen. Die allerschlimmsten dieser
Schmarotzer aber sind die, die in Rotterdam, Zürich, Kopenhagen usw.
ihren Sitz aufgeschlagen haben."

Gegenüber dem Handel, der sich zwischen dem Produzenten und Ver-
braucher „vermittelnd" einschaltet, hat der Staat vor allem die Ausgabe,
klare und einsache Wege zu schasfen. Aller Handel, der nicht wirk-
lich Vermittlung, sondern nur Spekulation ist, mutz ausgeschaltet
werden. Wichtiger als Verbote von so zweifelhafter Art wie das der Haus-
schlachtung wäre ein Verbot der Spekulation durch allerlei unbefugte
Händler. Wichtiger als die polizeiliche Durchsuchung der kleinen Läden
und Beaufsichtigung der Iahrmarktssrauen wäre die staatliche Äberwachung
des Großhandels, der Gesellschaften, Genossenschaften, Verbände, Kar-
telle usw. Hier sollten regelmäßige, geordnete, möglichst übersichtliche Bah-
nen geschaffen werden, so datz die Preisbildung im Großen verfolgt und
überwacht werden kann. All die Verteurer aber, die sich dazwischen hinein-
schleichen, sollten rücksichtslos beseitigt werden. Wir haben bereits kräftige
Handhaben auf diesem Gebiet, es gilt, sie weiter zu verstärken und vor
allem: sie zu benutzen.

Drittens: Den Verbraucher endlich schützt man aus die Dauer nicht
durch Höchstpreise. Setzt man Höchstpreise auf Kohl, so werden dadurch
nicht aus einem zwei Kohlköpfe. Die Ware wird immer knapper, und
schließlich wird der Höchstpreis nicht mehr nur links und rechts umgangen,
sondern mitten durchbrochen. Abschreckende Strafen mögen das eine Weile
aufhalten, dauernd können sie's nicht. Höchstpreise können immer nur
ein zeitweiliger Notbehelf sein zu einem besonders dringlichen Zweck
oder nützlich wirken in Verbindung mit gründlicheren Maßnahmen.
Wird eine Ware wirklich knapp, so bleibt kein andres Mittel als die
Kontingentierung aus die einzelnen Verbraucher: die „Karte". Ihr
Zweck ist erstens, daß die vorhandenen Waren nicht übermäßig rasch ver-
braucht werden, zweitens, daß sie sozial gerecht verteilt werden. Denn
das müssen wir auf jeden Fall nach aller Menschenmöglichkeit verhindern,
daß der Arme darbt, während der Reiche praßt. Die Kontingentierung
muß von der vorhandenen Menge einer Ware ausgehn, denn es hat
keinen Zweck, dem Volk Papierzettel statt Waren zu liefern, der Trost
zerrinnt allzu schnell. Das Kartensystem läßt glücklicherweise eine ziem-
lich große Beweglichkeit zu. So sollte man im Sommer möglichst wenig
Fleischkarten ausgeben, damit wir vor allem Gemüse verbrauchen, im
Winter dagegen, wenn wieder Vieh herangewachsen ist und das frische
Gemüse ausfällt, mehr Fleisch für den einzelnen ansetzen. Ie rascher
und gründlicher das System durchgeführt wird, um so besser für unser
Durchhalten.

Für all die angedeuteten Aufgaben braucht es mächtige Organi-
sationen. Wie der militärische Krieg eine ungeheure, jahrzehntelang
vorbereitete Organisation des Heer- und Eisenbahnwesens voraussetzte,

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