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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 17 (1. Juniheft 1916)
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Stapel, Wilhelm: Und immer wieder: Wucher
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0238

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so nicht minder der Wirtschaftskrieg eine besondere wirtschaftliche Organi-
sation. Aber diese Art des Krieges haben wir nicht vorausgesehn. Darum
müssen wir jetzt im Kriege selbst das Nötigste nachholen. Wie für den
militärischen Krieg der Große Generalstab, so ist für den
Wirtschaftskrieg eineKriegszentrale von grötzter Wich-
tigkeit. Wir haben bereits in den ersten Kriegsmonaten eine solche
Zentrale im Kunstwart gefordert (im zweiten Novemberheft Neuer-
dings wurde der Gedanke von den Zeitungen häusiger vertreten. Ietzt end-
lich scheint man sich dazu entschlossen zu Haben, eine solche Stelle wirklich
zu schaffen. Wir dürfen hoffen, datz man, sobald eine Art wirtschaftlichen
Generalstabs da ist, nicht mehr mit allerlei Höchstpreisverordnungen und
Verboten blind herumfahren, datz man endlich planmäßig und durchdacht
Produktion, Handel und Verbrauch leiten wird. Was auf wirtschaft-
lichem Gebiet an Lässigkeit behördlicher Organisation, was an schlecht über-
legten behördlichen Maßregeln vorgekommen ist, gehört von dem vielen
Unerfreulichen unsrer Zeit zum Anentschuldbarsten.

Eine zweite Organisationsaufgabe ist die Ausschaltung des über-
flüssigen Zwischenhandels. Ie ungeordneter Produktion und
Verbrauch sind, um so mehr Glieder des Handels sind notwendig. Ie
mehr sich aber beide organisieren, um so leichter können sie in unmittel-
baren Verkehr treten. Manches früher notwendige Vermittlungsglied ver-
liert dadurch seine Berechtigung. Es gilt also, Produktion und Ver-
brauch gründlich zu organisieren, nötigenfalls mit Zwang. Diese Organi-
sationsvermehrung bedeutet im großen volkswirtschastlichen Zusammen-
hang eine Organisationsersparung, da sie zahlreiche Iilfsorgane aus-
schaltet und den Weg der Waren übersichtlicher und leichter nachzuprüfen
macht.

Letztlich läuft all dieses Organisieren auf „Staatssozialismus" hinaus.
Viele schrecken davor zurück, weil sie darin vor allem den Zwang sehn,
der uns am Ende nur immer unfreier macht. Aber Staatssozialismus
bedeutet Zwang und Unfreiheit nur überall da, wo das Volk nicht auf
der hohen sittlichen Stufe steht, aus der die sozialistischen Einrichtungen als
die „natürlichen" erscheinen und also als die selbst gewollten. Dem Selbst-
süchtigen ist anständiges tzandeln Zwang und äußerliches Muß, dem,
der die Menschen liebt, versteht es sich von selber. Darum muß neben
dem äußeren Organisieren als das Wichtigere die sittliche Erziehung
unsres Volkes einhergehn, damit es aus seiner sittlichen Reife heraus
die Organisation begreift und will. Wie es Avenarius in seinem Aussatz
«Die Wolke" im ersten Novemberheft (9(5 forderte: überall müssen wir
den Geschäftsgeist mit der doppelten moralischen Buchführung bekämpfen,
immer wieder müssen wir das Verantwortungsgefühl der Gesamtheit gegen-
über wachrufen. Erst wenn der Geist den Körper so erfüllt, daß der Körper
der echte Ausdruck des Geistes ist, wird das staatssozialistische Gebilde
lebendig und lebenskräftig sein. Dann aber dürfen wir uns rühmen,
wirklich eine Stufe in der Menschheitsentwicklung aufwärts gekommen
zu sein. Gelingt uns das nicht — wo wäre dann ein tieferer Sinn all
der Not, die wir durchleben? sm^ Wilhelm Stapel
 
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