Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Zum Kampf um das Gymnasium
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0240

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ein altes Außenwerk scheint mir etwa das mit dem Wort „formale
Bildung" überschriebene. Man kann die Literatur über den formalen
Bildungwert der klassischen Sprache schon recht eifrig durcharbeiten, ohne
darum hinter die Tiefe dieses Wortes zu gelangen. Es ist ein ziemlich
leeres Wort. Sieht man aufs Außere, so mag man die „Form schönheit^
jener Sprachen rühmen. Ich bin ein heller Verehrer des Griechischen und
lese mit Wonne auch Plinius, Eiceros Briefe und sogar einige seiner Reden.
Aber dem Gegner, der mir die Sprache Luthers, Goethes, einiger Volks-
bücher, Iacob Burckhardts, Fichtes gegen jene hält, ihm weiß ich nichts
zu erwidern, als allenfalls dies — aber dies gilt für die „Formschönheit«
der antiken Sprachen ebenfalls —: daß wissenschaftlich Denkende sich ein paar
Iahrzehnte so vager Popularbegriffe wie „Form" und „schön" sollten ent-
halten dürfen, ohne darum für Form- und Schönheitseinde zu gelten.

Ebenfalls „äußerliche" Art einer Sprache ist ihre Einfachheit. Zwei-
fellos ist Latein „einfacher" als Deutsch. Griechisch wohl kaum. Äbrigens
gibt es eine Einfachheit der Primitivität und eine wesentlich schwerer ver-
ständliche der Konzentration (Tacitus!). Aber ist Einfachheit überhaupt
ein so großer Vorzug? Sie ist leichtfaßlich? Aber welcher PLdagog wird
ernstlich den Beweis wagen, daß eine einfache fremde Sprache für sechs-
bis sechzehnjährige Lernende leichter faßlich sei als die täglich tausendfach
geübte, wenn auch schwierigere Muttersprache? Ilnd auf Beweise
ist jetzt alles gestellt.

Viel verwickelter liegt die Frage der größeren oder geringeren Logik
dieser oder jener Sprache. Man gerät ins Unendliche schon bei dem
Versuch, die Frage bloß richtig zu stellen. Logik ist Denkstrenge. Sie äußert
sich in möglichst großer Schärse des Begriffschatzes und in möglichfter Ver-
feinerung der Aussagen. Beides wird durch den Reichtum der Sprache
begünstigt. Sollte nicht vielleicht Deutsch logischer sein als Latein?, das
heißt: sollte es nicht vielleicht dem Denker besser dienen? Aber selbft dieser
einfache Gedankengang ist nur scheinzwingend. Er setzt das Unbewiesene vor-
aus, daß Denken ohne unausgesprochene sprachliche Vorftellungen häufig vor-
kommt. Gehen wir aber auf diese Frage nicht ein, sondern ftellen wir die ein-
fachere andere: im Sinne welcher Logik ist Lateinisch logischer als —Chinesisch?
Nehmen wir nur einfachere Logiken: die Millsche, die Sigwartsche, die
Wundtsche, die Lippssche, die Erdmannsche. Sehr verschiedne Prinzipien
gelten in diesen; ist jene eine Sprache nach ihnen allen logischer als jene
andre? und dies, obwohl über das Verhältnis von Sprache und Logik
fast jeder Logiker anders urteilt? Denkt man aber gar an „moderne«
Logiken, an die Couturat, Mach, Poincare, Husserl, Baldwin, Hilbert —
was haben sie überhaupt mit Sprachen zu tun? Vor ihnen sind die Spra-
chen allzumal Sünder. Vielleicht gibt es eine Logik, die im Lateinischen
sozusagen wohnt: die scholastische. Haben wir aber nötig, scholastische Logik,
deren „Äberwindung" auf allen Straßen gepredigt wird, unsern Schülern
einzuimpfen?

Doch ist das nur erst eine Seite der Sache; eine andre sieht so aus:
vielleicht ist die griechische oder die lateinische Sprache „logisch", aber
die hergebrachte Grammatik dieser Sprachen ist nichts weniger als das.
Ich könnte erinnern an den Widersinn der „irreal-hypothetischen Sätze^,
an die „consecutio temporum", an die hilsloseste aller Einteilungen, die der
Nebensätze im Ellendt-Seyffert oder Kautzmann, aber Prof. Sütterlin
hat das (wieder ein Mal!) ausführlich besorgt (vgl. Sütterlin, Die neuere

(89
 
Annotationen