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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 17 (1. Juniheft 1916)
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Schumann, Wolfgang: Zum Kampf um das Gymnasium
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0241

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Sprachwissenschaft und der deutsche Unterricht, Mittler, Berlin). Sein
Hestchen ist ein Todesstoß für die logische Graminatik. Einer von vielen.
Ich personlich glaube gar nicht an die Möglichkeit einer logischen Schüler-
gramrnatik, nur an die einer praktischen. Eine logische setzt einen gebilde-
ten Logiker voraus, da die Sprache nicht wie die Mathematik auf ein
paar Axiomen ruht. Man sollte die überlegene Logik des Lateinischen nicht
mehr verteidigen. Äberhaupt, kann man denn im Ernst glauben, unreife
Köpse durch sprachliche Belehrung zu logisieren, statt durch sachliche? Man
mache eine Probe. Äber Mitteleuropa, über Verkehrspolitik, über die
Schönheit der Insektenwelt, über Weltpolitik in Napoleons Zeitalter, über
Tragik, über Religionsunterricht halte man in gebildetem Zuhörerkreise
einen Vortrag. Die darauf folgende Diskussion wird einen gewissen Pro-
zentsatz sachlicher, hörenswerter Erwiderungen und Ergänzungen bringen.
Aber über Sprachpsychologie oder Sprache und Logik zu reden, davon ist
jedermann abzuraten; er wird unter hundert Zuhörern höchstens einen
haben, der ihn versteht. Auch unter sprachlich Gebildeten, unter Lehrern
und Sprachkennern! Damit ist gar nichts tzerabwürdigendes, nichts
Beschämendes eingestanden. Die schärfsten Denker haben Iahrhunderte
diese Nüsse zu knacken versucht, und noch ist die Schale kaum angerissen*
Und die Iahrzehnte, die Iahrhunderte, während derer die ganze Logik
der alten Sprachen auf die Iugend losgelassen wurde, haben das nicht
geändertl Mir scheint der Schluß aus alledem selbstverständlich: der Für-
grund des „formalen Bildungswertes" für das Gymnasium ist nur ein
Scheingrund.

Bedenklich, wenn auch keineswegs so bedenklich wie mit dem Formal-
wert, steht es auch mit dem „Geist der Antike«, den die Schüler durch
den humanistischen Unterricht kennen lernen sollen. Dieses Kapitel aus-
reichend zu erörtern, dazu reichte der Raum eines Konversationslexikons
gerade aus. Hier liegt der Grund, warum es so viel in Zeitungen
und Versammlungen erörtert wird; jeder denkt sich vergnügt etwas dabei
und hat den Erfolg für sich, indem er geschickt am Gegner vorbeiredet.
Was ist das für eine Riesenvorstellung, jemand zu bilden, indem man ihn
„in eine andre Kultur einführt^! Sie setzt sich zusammen aus Hunderten
von Linzelvorstellungen über das Wesen der Kultur schlechthin, das Wesen
und die Hauptinhalte einer bestimmten Kultur, über den Wert der Einfüh-
rung in die Kultur, über die zahllosen pädagogischen Möglichkeiten solcher
Einführung. Legionen von sachlichen und von falschen Vorstellungen, Aber-
legionen von Begründungen dazu fließen in dem Wort zusammen. Freilich,
die öffentliche Lrörterung solcher Fragen läßt bald einige Hauptzüge dieses
Komplexes hervortreten. Sie scheidet im Gröbsten Haltbares von Unhalt-
barem — das ganz Abwegige bringen die Gegner rasch zur Strecke. Für
die Freunde des Humanismus wird es gelten, auch hier selbst Unhaltbares
auszuscheiden,- ganz fallen lassen können sie diesen Fürgrund nicht, sie
haben keinen nennenswerten andern. Aber sie könnten Ballast auswersen.

Zur Ausscheidung wären Grundpositionen zu empfehlen wie etwa diese:
die „Äberlegenheit« der antiken Kultur, die größere Einheitlichkeit der antiken
Kultur, die höhere moralische Vorbildlichkeit der antiken Kultur, vielleicht

* Man vergleiche K. O. Erdmanns reizvolle Abersicht dieser Problenre
in seinem Buch „Die Bedeutung des Worts" oder auch Mauthners umfassen-
des Werk.

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