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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI issue:
Heft 18 (2. Juniheft 1916)
DOI article:
Hermann, Alexander: Das Deutschtum in Rußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0299

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sie jedoch in sektiererischem Dünkel nicht nur von Russen, sondern auch
von den übrigen deutschen Lcrndsleuten streng geschieden. (Linen schweren
Daseinskarnpf mußten schon lange vor dem Kriege die etwa j70 000 deut-
schen Bauern in Wolhynien führen: zum größten Teil nur Pächter
ihres Bodens, mit ungeheuerlichen Pachtsätzen belastet, litten sie zudem
schwer unter den Bedrückungen und Rechtseinschränkungen der mißkrauischen
russischen Regierung — denn sie lebten ja nahe der Grenzen des „öster-
reichischen Lrbseindes". Im Gegensatz zu ihnen sind die jO OOO Schwa-
ben des Kaukasus bisher vom Schicksal begünstigt gewesen. Die
stärkste völkische Einbuße haben die Deutschen in Russisch-Polen
erlitten, wo man (außer dem stark vertretenen städtischen Deutschtum) eine
ländliche deutsche Bevölkerung von etwa 600 ooo Seelen zählt. Sie leben
dort stark untermischt mit Polen, sind als Landwirte entschieden tüchtiger
und erfolgreicher als diese, aber im völkischen Wettbewerb schwächer- be-
sonders bei den häusigen Mischehen zwischen evangelischen Deutschen und
katholischen Polen siegt fast immer der katholisch-polnische Teil.

Äberhaupt darf man die völkische Widerstandskraft der deut-
schen Kolonisten Rußlands nicht überschätzen. Sie haben sich bisher
durchaus als loyale Staatsbürger gefühlt. Ihr Festhalten an deutscher
Sprache und Art entsprach mehr ihrer konservativen Bauerngesinnung und
instinktiver Verachtung der verlottertsten Umwelt, als bewußtem völkischen
Selbstgefühl. Das Deutsche Reich lag ganz außerhalb ihres Gesichtskreises,
die deutsche Kultur, soweit sie zu ihnen drang, erhielten sie aus zweiter
Hand, meist durch Vermittlung von Balten oder anderen Deutschen Ruß^-
lands. Sie sind eben -ein Bauernvolk geblieben, eine stärkere „Ober-
schicht" haben sie noch nicht aus sich herauszubilden vermocht. Die Pre-
diger und Ärzte, die einzigen akademtsch Gebildeten in ihrer Mitte, waren
in der Regel Balten. Wer von den Kolonisten höher hinaufstrebte, be-
suchte das russische Gymnasium in der nächsten Stadt, dann eine
russische Hochschule, — und war schließlich von russischen Bildungs-
einflüssen so durchtränkt, daß er seinem Volkstum verloren ging. Lrst
seit der Revolution von (905, die allen „Fremdvölkern" Rußlands ein
gewisses (sreilich bald stark beschränktes) Recht zu selbständiger Betätigung
gab, zeigten sich auch bei ihnen Änsätze zu völkischer Fortentwicklung. Die
neu entstehenden „Deutschen Vereine" machten sich die bewußte Pflege
deutscher Kultur zur Aufgabe, eine rasch ausblühende deutsche Provinzial-
presse vertrat tatkrästig die Interessen der einzelnen Koloniengebiete
(„Volkszeitung" in den Wolgakolonien, „Bürgerzeitung" im Dnjeprgebiet,
„Odessaer Zeitung" und skatholische^ „Deutsche Rundschau" in den Schwarz-
meerprovinzen, „Kaukasische Post« im Kaukasusgebiet), wirkte aber zu-
gleich auch aus den Zusammenschluß des gesamten Deutschtums in Ruß-
land hin. Vor allem wurde jetzt die Brücke nach dem Baltenlande ge-
schlagen, es erwachte das Bewußtsein von der inneren Zusammengehörig-
keit zwischen der deutschen „Oberschicht" dort und der deutschen „Anterschicht"
hier. Baltische Gutsbesitzer faßten den großzügigen Plan, anstatt der
landslüchtigen und deutschfeindlichen lettischen Bauernbevölkerung in ihrem
Gebiet deutsche Kolonisten anzusiedeln, und dieser Gedanke wurde, trotz
dem Widerstande der mißtrauischen russischen Regierung, mit glänzendem
Erfolge durchgeführt: beim Ausbruch des Krieges waren schon über 20 000
deutsche Bauern in Kurland und Südlivland ansässig. Äber auch das
nach höherer Bildung strebende junge Kolonistengeschlecht suchte und fand

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