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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Hermann, Alexander: Das Deutschtum in Rußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0300

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Anschluß an die baltischen Landsleute. In Dorpat bildete sich l.908 eine
nur aus Kolonisten bestehende studentische Verbindung „Teutonia^; sie
trat in enge Beziehungen zu den alten baltischen Studentenkorps, um
auf der Hochschule bewußt deutsch zu bleiben und später in der Heimat
den Stand des akademisch gebildeten Kolonisten zu schaffen. Seit
W2 begann in Reval die „Deutsche Monatschrist für Rußland" zu
erscheinen, die sich die Pflege der deutschen Gesamtinteressen zur Aufgabe
machte und häufig auch Kolonisten als Schilderer ihrer Verhältnisse und
Bestrebungen zu Worte kommen ließ.

Alle diese Keime hat der Krieg zerstört. Balten und Kolonisten sind
von der russischen Regierung als „Freiwild^ den Chauvinisten preis-
gegeben worden. Die „Enteignung" des Kolonistenbesitzes ist durch ein
barbarisches Gesetz genehmigt und 'in den Grenzgebieten schon erbarmungs-
los durchgeführt worden. Hunderttausende dieser bodenständigen Vauern
irren jetzt umher, dem 'Llend preisgegeben; und weitere Hunderttausende
werden ihnen folgen. Engländer suchen sie nach Kanada zu
ziehn. Mögen sie einst in deutschem Boden neue Wurzeln schlagen
können! H

^ie dritte große Deutschengruppe in Rußland, die stLdtische deutsche
^Vevölkerung dort außerhalb der baltischen Provinzen, läßt sich
nicht einheitlich kennzeichnen, denn 'hier sinden sich Vertreter aller Stände
und Berussarten unter den verschiedenartigsten Verhältnissen. Für sie
ist im allgemeinen die Gesahr der „Verrussung" als Folge des ständigen
Einflusses ihrer Umwelt am stärksten. Die völkische Widerstandskrast
schwächt sich in ihrer 'Geschlechterfolge deutlich ab. Oft sieht man bei
Eltern von deutscher Sprache und Sitte eine Iugend heranwachsen, die
unterm Einsluß von Schule und Kameradschaft ein „gebildetes^ Gespräch
nur noch russisch sühren kann und im häuslichen Verkehr ein Gemisch von
Deutsch und Russisch ravebrecht. Wie die Sprache so meist auch die Ge-
sinnung. Treten noch „Mischheiraten^ hinzu, so vollendet sich der Ver-
russungsprozeß. So entstehen die zahllosen „echt russischen" Müllers und
Schulzes, a,ber auch Träger stolzer deutscher Adelsnamen, die besonders
laut ins russische Horn stoßen. Die deutsche Presse Pflegt sie als „ver-
rußte Balten« zu bezeichnen, doch können sich alle deutschen Bevölke-
rungsgruppen Rußlands in ihren Ruhm teilen. Der ehemalige „Pro-
kureur des Allerheiligsten Synods^ Sabler, der Schüler und Nach-
folger des sanatischen Pobjedanosszew, war baltischer Herkunft, der Sproß
einer „Mischehe^. Hartwig, der als russischer Gesandter in Belgrad
die Serben hetzte, entstammt einer ursprünglich reichsdeutschen Familie.

So steht es unter der städtischen Bevölkerung in der Regel; die
ersreulichen Ausnahmen sind eben Ausnahmen. Bedeutend günstigere Zu-
stände finden wir nur in einigen Großstädten, wo Deutsche in beträchtlicher
Zahl in engem Zusammenschlusse leben. So in Petersburg, dessen
rund 50 000 deutsche Bewohner zwar nur ^ bis 5 vom Hundert der Ge-
samtbevölkerung betragen, aber durchweg den gebildeten und wohlhabenden
Schichten angehören, Industrie, Großhandel, Bankwesen wesentlich be-
einflussen und auch darüber hinaus als Verbreiter deutscher Kultur wirken.
Ihre „Kirchenschulen" der vier evangelischen Gemeinden sind großartige
pädagogische Organisationen, die Schulen aller Gattungen mit Tausenden
von Zöglingen umfassen und sich das Recht der deutschen Unterrichtssprache
 
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