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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 18 (2. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Hermann, Alexander: Das Deutschtum in Rußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0301

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bis zum Ausbruch des Krieges nicht zum wenigsten dudurch wahren konnten,
daß viele einflußreiche Russen in den höchsten Staatsämtern ihre Iugend-
bildung dort erhalten und sich die Achtung vor deutscher Erziehung und
Bildung bewahrt hatten. Lin reges geistiges Leben deutscher Prägung
herrschte auch in den vielen wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen
Vereinen, in denen die Deutschen die Verbindung mit der Kultur des
Mutterlandes pslegten, verständuisvoll unterstützt von der deutschen Presse.
Besonders die deutsche „Petersburger Zeitung", ein trefflich geleitetes
Blatt, hatte einen großen Leserkreis im ganzen weiten Reich. Wachsam
und surchtlos vertrat sie die Gesamtinteressen der Deutschen Rußlands
gegenüber der immer mächtiger anschwellenden chauvinistischen Strömung
in Regierung und Presse. Als sie am s. Ianuar auf behördliche
Versügung eingehen mußte, hatte sie, eine der ältesten deutschsprachigen
Zeitungen der Welt, durch s88 Iahre gewirkt!

Ahnlich wie in Petersburg liegen die Verhältnisse in Moskau, nur
daß entsprechend der geringeren Zahl der dortigen Deutschen (etwa 20 000)
die Ausstrahlungen deutschen Geistes aus die russische Rmwelt weniger stark
waren. Auch dort gibt es gute deutsche „Kirchenschulen", aber die Zahl
der deutschen Vereine ist viel geringer und die deutsche „Moskauer Zeitung^
hat sich nicht über die Höhe eines mittleren Provinzblattes erhoben. — In
Odessa und Saratow, wo je (0000 Deutsche leben, müssen sie sich
aus eine mehr oder weniger ersolgreiche völkische Verteidigung beschränken.

Die stärkste deutsche Stadtbevölkerung in Rußland zählt Lodz, wo
unter einer halben Million Linwohner etwa (20 000 Deutsche leben. Die
hier blühende Industrie dieser Fabrikstadt ist bekanntlich von Deutschen ge-
schafsen worden. Und noch die letzte statistische Berechnung von H. Weck*
beweist, wie deutsch das wirtschaftliche Abergewicht in deutscher Iand ge-
blieben ist: in den tzänden von Deutschen waren 332 industrielle Betriebe
mit einer tzerstellung von Waren im Werte von jährlich rund (50 Mil-
lionen Rubeln, während die Betriebe der Iuden und Polen nur Werte
im Betrage von je (9 Millionen Rubeln hervorbrachten. Leider steht aber
der Kultureinfluß der dortigen Deutschen auch nicht annähernd aus der
Höhe ihrer wirtschastlichen Vormacht. Sie haben sich weder in der städti-
schen Verwaltung noch im Schulwesen den Polen gegenüber zur Geltung
gebracht. Auch die Lodzer deutsche Presse war nur der Sprache nach
deutsch. Den Hauptgrund sür diese Erscheinung müssen wir in der be-
schämenden Tatsache sehen, daß im völkischen Wettbewerb die Polen in
der Regel den Deutschen weit überlegen sind. Dazu kommt noch das Aber-
wiegen materieller Interessen und der Mangel an deutscher Kulturüber-
lieferung in dieser jüngsten Großstadt Rußlands, die sich mit amerikanischer
Schnelligkeit entwickelt hat.*^ Im Gegensatz dazu sind die Deutschen Peters-
burgs von der Gründung der Stadt an ein hochangesehenes Kulturelement
gewesen, und in Moskau hat es schon Iahrhunderte früher einen „deutschen
Stadtteil" gegeben.

Die Stellung des gesamten städtischen Deutschtums in Rußland ist durch
den Krieg schwer erschüttert worden. Alle deutschen Schulen sind zwangs-
weise russisiziert oder zwangsweise geschlossen worden, und den deutschen
Vereinen wie der deutschen Presse ging es nicht besser. Wird „neues Leben

* „Das Deutschtum im Auslande." München. G. Müller. (9(6.
Lodz hatte noch (820 nur 800 Linwohner!
 
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