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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

DOI issue:
Heft 8 (2. Januarheft 1917)
DOI article:
Nagel, Ferdinand: Gutsbesitzer und Bauern: ein ostdeutsches Bauerndorf als Beispiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0102
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innerhalb der bäuerlich gebliebenen Feldmark, ein Verzeichnis der M5 in
Gramzow vorhandenen WirtschafLen und sehr genaue alte Flurkarten der
Dorfgemarkung.

Gramzow bestand um (800 aus (5 Vollbauernstellen, von denen vier im
Iahr (76^ unter Friedrich dem Großen auf einem in der Gemarkung gelege-
nen Vorwerk neu angelegt worden waren. Wie fast alle pommerschen Dörfer
hatte es in den Zeiten des staatlichen Verfalls und der unbeschränken Iunker-
herrschaft daselbst, also im (6. bis ins l,8. Iahrhundert, seine ursprüngliche
Freiheit^ eingebüßt, es war „erbuntertänig", dann „leibeigen" geworden und
im (8. Iahrhundert durch Veräußerungen und Vererbungen zuletzt ganz an
einen Herrn von Kruse auf Neetzow gefallen. Doch war das „sonst statt«
gehabte Dienstverhältnis (Fronen) der Bauern Hier bereits früher (vor (8(6)
aufgehoben und sie waren zu Pachtbauern (Lassiten) mit Beibehaltung eini--
ger weniger Dienste und Abgaben regulieret worden", wobei der Herrschaft
allerlei Pflichten verblieben waren, „ohne über die Substanz der
Höfe frei verfügen zu können". In diesen Worten der Urkunde
kommt so recht das Wesen und der Segen der friederizianischen Bauern--
schutzgesetzgebung zutage, die das Einziehen der bäuerlichen Pachthöfe
durch die Gutsherrschast, das „Bauernlegen^, rundweg verboten hatte.

Im Iahre (8(6 sollte nun die Negulierung der gutsherrlichen und
bäuerlichen Verhältnisse auch hier stattfinden, das heißt die Bauern sollten
frei werden von jeder Dienstleistung und Abgabenpflicht und sollten den
von ihnen bestellten Boden als „freies Eigentum für ewige Zeiten" er-
halten. Die Gutsherrschaft aber sollte gleichfalls aller Verpflichtungen gegen
ihre Bauern ledig und außerdem für die Eigentumsverleihung an diese
und für die Äberlassung der „tzofwehren^ (Vieh und Geräte) entschädigt
werden.

Wichtig für die weitere Entwicklung war es nun, in welcher Form diese
Abfindung geleistet werden sollte. Der Freiherr vom Stein, der sozial
gesinnte Schöpfer der Bauernbefreiung, hatte es aufs entschiedenste abge-
lehnt, daß die Itntertanen ihre Freiheit dürch Landabtretung erwürben,
weil er von einer Schmälerung des bäuerlichen Besitzstandes mit Recht
verderbliche Folgen für die Zükunft unferes Landvolkes befürchtete.
Sein Nachfolger tzardenberg aber ließ sich dürch einflußreiche Kreise dazu
bestimmen, gerade die Abtretung von Bauernland als die gewöhnlichste
Art der Entschädigung der tzerrschaft zu empfehlen, ja gesetzlich festzulegen —
(68^000 Morgen sind in der Zeit von (8(( bis etwa (836 dürch diese un--
glückselige Bestimmung dem östlichen Bauerntum verloren gegangen! Auch
in Gramzow wurde (8(6 bei der Regulierung angeordnet, daß die Bauern
gegen Verzicht auf die tzälfte ihrer Ackerfläche ihre Resthöfe zu ELgentum
erhalten sollten.

Doch hier mußte die Bauernschaft in Wirklichkeit noch weit mehr Land
für die Erlangung ihrer Freiheit hergeben: Im Anfang des (y. Iahr--
hunderts nämlich hatte die Gutsherrschaft zu Reetzow zwei Gramzower tzöfe,
die (wahrscheinlich durch den Tod ihrer Wirte) „erledigt" oder „wüste"
waren, einfach eingezogen und in eigene Bewirtschaftung genommen. Zwar
war dies ein offensichtlicher Rechtsbruch gegenüber den bauernfreundlichen

* Vgl. hierüber das vorzügliche Buch von I. Fuchs „Der Antergang des
Bauernstandes und das Anfkonrmen der Gutsherrschaften", bei Drübner in
Straßburg (888.
 
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